Otto Schmidt Verlag

LSG Berlin-Brandenburg v. 22.7.2024 - L 3 U 114/23

Kassiererin mit Corona: Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nur bei Nachweis der Infektion im Supermarkt

Eine Infektion mit dem Covid-19-Virus (bei einer Supermarkt-Kassiererin) kommt grundsätzlich als Unfallereignis in Betracht. Für den erforderlichen Nachweis einer Infektion im Supermarkt muss zwar nicht zwingend ein intensiver Kontakt mit einer infektiösen Person ("Index-Person") während der Arbeit stattgefunden haben. Es genügt allerdings auch nicht, dass das Risiko auf der Arbeitsstelle allein wegen der größeren Anzahl an Kontakten höher als im Privatbereich war.

Der Sachverhalt:
Die damals 58-jährige Klägerin war im Herbst des Jahres 2020 als Verkäuferin in einer Berliner Filiale einer überregional vertretenen Supermarktkette tätig. Dort füllte sie u.a. die Regale auf und arbeitete an der Kasse. Am 20.10.2020 ergab ein bei ihr durchgeführter PCR-Test einen für das Covid-19-Virus positiven Befund. Im Dezember 2021 teilte die behandelnde Hausärztin der zuständigen Berufsgenossenschaft mit, die Klägerin sei seit März 2021 wegen eines Long-Covid-Syndroms dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt. Die Verkäuferin selbst erklärte, ihre sozialen Kontakte hätten sich damals so gut wie ausschließlich auf ihren Arbeitsplatz beschränkt, so dass sie davon ausgehe, sich die Infektion dort zugezogen zu haben. Einige Kunden hätten keine Mund-Nase-Maske getragen und der Sicherheitsabstand von 1,5 Metern sei oft nicht eingehalten worden.

Die beklagte Berufsgenossenschaft lehnte es ab, die Infektion mit dem Covid-19-Virus als Arbeitsunfall anzuerkennen und für die ärztliche Behandlung und Entschädigung der Klägerin aufzukommen. Eine konkrete Person ("Index-Person"), auf die die Infektion zurückzuführen sei, habe die Verkäuferin nicht benannt. Eine Ansteckung im nicht versicherten, privaten Umfeld sei bei lebensnaher Betrachtung nicht ausgeschlossen.

Das SG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Die Berufung der Klägerin hatte vor dem LSG keinen Erfolg. Der Beschluss ist nicht rechtskräftig. Die Klägerin kann beim BSG die Zulassung der Revision beantragen.

Die Gründe:
Das Ereignis vom Oktober 2020 stellt keinen Arbeitsunfall dar. Eine Infektion mit dem Covid-19-Virus kommt zwar grundsätzlich als Unfallereignis in Betracht. Das Eindringen eines Krankheitserregers in den Körper und die nachfolgende Symptomatik stellen ein geeignetes Ereignis bzw. einen geeigneten Gesundheitsschaden dar. Allerdings fehlt es vorliegend an dem erforderlichen Vollbeweis, dass sich die Übertragung des Virus tatsächlich im Supermarkt zugetragen hat. Für den Nachweis muss zwar nicht zwingend ein intensiver Kontakt mit einer infektiösen Person ("Index-Person") während der Arbeit stattgefunden haben. Es genügt allerdings auch nicht, dass das Risiko auf der Arbeitsstelle allein wegen der größeren Anzahl an Kontakten höher als im Privatbereich war.

Jedenfalls konnte auch nach den eigenen Angaben der Klägerin und ihrer Arbeitgeberin sowie nach den Ermittlungen des Gerichts kein Kunde und kein Kollege ausfindig gemacht werden, mit dem die Klägerin im möglichen Ansteckungszeitraum in Kontakt stand und bei dem das Covid-19-Virus hätte nachgewiesen werden können. Eine vollständige Isolation der Verkäuferin im privaten Bereich kann zudem bei lebensnaher Betrachtung nicht angenommen werden. Damit ist angesichts der pandemischen Ausbreitung letztlich nicht aufklärbar, wo sich die Verkäuferin mit dem Virus infiziert hat.

Auch der Verweis der Verkäuferin auf erhöhte Infektionsrisiken in ihrem Beruf ist nicht geeignet, eine konkrete Infektion nachzuweisen. Ein solches generell erhöhtes Risiko wäre - in Abgrenzung zu einer konkret nachgewiesenen Infektion - allenfalls geeignet, eine (hier nicht in Streit stehende) Berufskrankheit zu begründen.

Hintergrund:
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit. Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Hingegen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Von der Nr. 3101 der Berufskrankheiten-Liste werden Personen erfasst, die infolge ihrer Tätigkeit im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert werden und deshalb an COVID-19 erkranken.

Mehr zum Thema:

Aufsatz
Arbeitsunfälle nach Corona
Paul Melot de Beauregard / Julius Arden, DB 2023, 1475
DB1434550

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 30.07.2024 12:43
Quelle: LSG Berlin-Brandenburg PM vom 25.7.2024

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