Otto Schmidt Verlag

ArbG Köln v. 31.7.2024 - 9 Ca 6540/23

Keine Teilzeit aufgrund von entgegenstehenden betrieblichen Gründen

Bei den entgegenstehenden betrieblichen Gründen handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zukommt. Die Prüfung der entgegenstehenden betrieblichen Gründe ist nach BAG-Rechtsprechung (BAG Urt. v. 13.11.2012 – 9 AZR 259/11) regelmäßig in drei Stufen vorzunehmen.

Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist ein Unternehmen der chemischen Industrie mit 2.417 Mitarbeitern am hier maßgeblichen Standort. Dort gibt es drei Tankläger. Der Kläger ist seit 1992 bei der Beklagten als Chemikant beschäftigt, zuletzt als einer von insgesamt zehn (teils stellvertretenden) Schichtmeistern im Tanklager Ost. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der chemischen Industrie mit einer Regelarbeitszeit von 37,5 Stunden pro Woche Anwendung.

Im Bereich Tanklager haben die Beklagte und der Betriebsrat ein vollkontinuierliches 5-Schicht-Wechselschichtmodell über eine Betriebsvereinbarung geregelt. Es besteht aus insgesamt fünf Schichtgruppen, die den Betrieb im Tanklager in drei Schichten (Früh-, Spät- und Nachtschicht) an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr aufrechterhalten. Andernfalls würden die Produktionsprozesse der Beklagten ins Stocken geraten. Für jeden Mitarbeiter errechnet sich im 5-Schicht-Modell zunächst eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 33,6 Stunden pro Woche. Um die Differenz von 3,9 Stunden hoch auf die vertraglich geschuldeten 37,5 Stunden zu erreichen, sind von den Mitarbeitern 25,5 Ausgleichsschichten (203,50 Stunden) pro Jahr zu leisten. 80% der Ausgleichsschichten werden zu Jahresbeginn langfristig verplant; die restlichen 20% werden kurzfristig verplant um etwaig anfallende Personalengpässe, z.B. wegen Krankheit, auszugleichen.

Am 12.3.2023 hatte der Kläger einen Wunsch auf Verkürzung und Neuverteilung seiner Arbeitszeit ab 1.10.2023 bis zum 30.9.2028 geltend gemacht. Die Arbeitszeit soll von durchschnittlich 37,5h/Woche auf durchschnittlich 35 h/Woche reduziert werden. Die Beklagte hatte daraufhin Stellenausschreibungen veröffentlicht, mit der sie eine Ersatzkraft für den Kläger gesucht hat, die allerdings erfolglos blieben. Mit Schreiben vom 11.8.2023 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie nach Prüfung aller Möglichkeiten seinen Antrag aus betrieblichen Gründen ablehnen müsse. Der Kläger blieb bei seiner Ansicht, dass die Beklagte verpflichtet sei, seinem Teilzeitbegehren zuzustimmen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Zustimmung abgewiesen.

Die Gründe:
Dem Begehren des Klägers standen betriebliche Gründe entgegen.

Bei den entgegenstehenden betrieblichen Gründen handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zukommt. Die Prüfung der entgegenstehenden betrieblichen Gründe ist nach BAG-Rechtsprechung (BAG Urt. v. 13.11.2012 – 9 AZR 259/11) regelmäßig in drei Stufen vorzunehmen. Zunächst ist festzustellen, ob der vom Arbeitgeber als erforderlich angesehenen Arbeitszeitregelung überhaupt ein betriebliches Organisationskonzept zu Grunde liegt und – wenn das zutrifft – um welches Konzept es sich handelt (erste Stufe). Das Organisationskonzept ist das Konzept, mit dem die unternehmerische Aufgabenstellung im Betrieb verwirklicht werden soll. In der Folge ist zu untersuchen, inwieweit die aus dem Organisationskonzept folgende Arbeitszeitregelung dem Arbeitszeitverlangen tatsächlich entgegensteht (zweite Stufe). Schließlich ist das Gewicht der entgegenstehenden betrieblichen Gründe zu prüfen (dritte Stufe).

Dabei ist die Frage zu klären, ob das betriebliche Organisationskonzept oder die zu Grunde liegende unternehmerische Aufgabenstellung durch die vom Arbeitnehmer gewünschte Abweichung wesentlich beeinträchtigt wird. Maßgeblich für das Vorliegen der betrieblichen Gründe ist der Zeitpunkt der Ablehnung des Arbeitszeitwunschs durch den Arbeitgeber, der die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen entgegenstehender betrieblicher Gründe trägt.

Im Betrieb der Beklagten liegt ein Organisationskonzept vor, aus dem eine Arbeitszeitregelung folgt, die dem Begehren des Klägers entgegenstand. Das Gewicht dieser entgegenstehenden Gründe ist erheblich. So sieht das Organisationskonzept der Beklagten vor, dass die Tankläger am Standort jederzeit den für die Produktion nötigen Zufluss an chemischen Grundstoffen gewährleisten müssen. Andernfalls wäre der reibungslose Ablauf der Produktionsprozesse der Beklagten gefährdet. Das 5-Schicht-Wechselschichtmodell stand dem Teilzeitbegehren des Klägers entgegen, ohne dass für die Beklagte eine zumutbare Möglichkeit bestand, die betriebliche Arbeitszeitgestaltung mit dem Teilzeitwunsch des Klägers in Einklang zu bringen. Ferner war der Beklagten auch keine Ersatzeinstellung möglich.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.09.2024 12:53
Quelle: Justiz NRW

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