Otto Schmidt Verlag

BAG v. 3.7.2024 - 10 AZR 171/23

Kann der Arbeitgeber die Höhe einer Bonuszahlung einseitig bestimmen?

Hat sich der Arbeitgeber vertraglich verpflichtet, mit dem Arbeitnehmer für eine Zielperiode Ziele zu vereinbaren, an deren Erreichen eine Tantieme- oder Bonuszahlung geknüpft ist, erfüllt er diese Vertragspflicht regelmäßig nur, wenn er mit dem Arbeitnehmer Verhandlungen über den Abschluss einer Zielvereinbarung führt und es diesem ermöglicht, auf die Festlegung der Ziele Einfluss zu nehmen.

Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über Schadensersatz wegen entgangener erfolgsabhängiger variabler Vergütung für das Jahr 2020. Der Kläger war seit 2020 bei der Beklagten als Development Director für das Ressort Schiffe beschäftigt. Der Arbeitsvertrag (im Folgenden AV) lautet auszugsweise:

„§ 4 Vergütung, freiwillige Leistungen

4.1 Der Mitarbeiter erhält für seine Tätigkeit ein festes Jahresgehalt von EUR 180.000,- brutto

…      

4.2 Der Mitarbeiter kann darüber hinaus eine erfolgsabhängige variable Vergütung (‚Tantieme‘) erzielen. Die jährliche Tantieme beträgt maximal EUR 180.000,- brutto … Die Festlegung einer Tantieme und deren Höhe hängen von dem Erreichen von Zielen ab, deren drei wesentliche Kriterien jedes Jahr, erstmals zum Ende der Probezeit, zwischen dem Mitarbeiter und der Gesellschaft vereinbart werden. Sollten die drei Kriterien nicht zwischen dem Mitarbeiter und der Gesellschaft vereinbart werden, werden diese seitens der Gesellschaft nach billigem Ermessen vorgegeben. Die Tantieme wird je nach Erreichungsgrad der vereinbarten oder vorgegebenen Ziele durch den Arbeitgeber nach seinem Ermessen fixiert. Im Falle des Ein- oder Austritts während eines Kalenderjahres wird eine eventuelle Tantieme zeitanteilig, gerechnet nach Kalendermonaten und für Teile von Kalendermonaten nach Kalendertagen, ausgezahlt. Ein Rechtsanspruch auf eine Tantieme besteht nicht. Wird dem Mitarbeiter eine Tantieme gewährt, erfolgt dies freiwillig mit der Maßgabe, dass auch durch eine wiederholte Zahlung kein Rechtsanspruch, weder dem Grunde noch der Höhe nach, weder für die Vergangenheit noch die Zukunft, begründet wird.“

Ab Juni 2020 kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien, letztlich scheiterte eine Einigung über eine Zielvereinbarung. Die Beklagte kündigte an, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, die Ziele nach billigem Ermessen einseitig festzulegen. Der Kläger schied zum Ende des Jahres aus dem Unternehmen aus. Eine Tantieme zahlte die Beklagte an den Kläger nicht.

Der Kläger vertrat die Auffassung, die Beklagte sei ihm zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie nicht berechtigt gewesen sei, die Ziele einseitig vorzugeben. Er klagte daher auf Schadensersatz i.H.d. entgangenen Tantieme, die er mit 97.000 € bezifferte. Die Beklagte vertrat die Auffassung, ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz bestehe nicht, weil sie berechtigt gewesen sei, die Ziele nach billigem Ermessen vorzugeben. Der Arbeitsvertrag setze für eine ersatzweise Zielvorgabe allein voraus, dass Ziele nicht vereinbart worden seien. Auf die Gründe hierfür komme es nicht an.

Das ArbG gab der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten änderte das LAG das Urteil teilweise ab und wies die Klage i.H.v. ca. 14.000 € ab. Das BAG hat nun die Revision der Beklagten, die weiterhin eine vollständige Klageabweisung beantragt hatte, zurückgewiesen.

Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte nach § 280 Abs. 1, 3 iVm. § 283 Satz 1, § 252 BGB Anspruch auf Schadensersatz wegen ihm entgangener erfolgsabhängiger variabler Vergütung („Tantieme“) für das Kalenderjahr 2020 i.H.v. 82.600 €. Die Beklagte hat schuldhaft ihre nach § 4.2 Satz 3 AV bestehende Pflicht verletzt, mit dem Kläger eine Zielvereinbarung abzuschließen. Deren Ersetzung durch eine einseitige Zielvorgabe war nicht zulässig.

Die Beklagte war trotz Scheiterns einer diesbezüglichen Vereinbarung nicht berechtigt, dem Kläger einseitig Ziele vorzugeben. § 4.2 Satz 4 AV hält einer Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB nicht stand. Die Regelung benachteiligt den Kläger unangemessen. Dies folgt allerdings entgegen der Annahme des LAG nicht aus § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, sondern aus § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB. Im Ergebnis erweist sich die Entscheidung des LAG daher als richtig.

Die Unwirksamkeit von § 4.2 Satz 4 AV führt nach § 306 Abs. 1 BGB zum ersatzlosen Wegfall der Bestimmung über die Zielvorgabe unter Aufrechterhaltung des Satzes 3. Dies hat zur Folge, dass allein die Grundsätze über die Durchführung und das Scheitern einer Zielvereinbarung anzuwenden sind.

Die Beklagte hat ihre Pflicht aus § 4.2 Satz 3 AV, mit dem Kläger Verhandlungen über eine Zielvereinbarung zu führen und eine solche abzuschließen, schuldhaft verletzt. Der Senat kann diese Bewertung selbst vornehmen.

Die Beklagte hat trotz entsprechender Aufforderung durch den Kläger mit diesem keine Verhandlungen geführt, die den Abschluss einer Zielvereinbarung für die im ersten Beschäftigungsjahr maßgebliche Zielperiode ermöglicht hätte. Sie hat ihm zwar schriftlich ihre Zielvereinbarungsvorstellungen übermittelt und erklärt, sie sei bereit, sich mit dem Kläger direkt auszutauschen, sofern zu ihren Zielvorstellungen noch Rücksprachebedarf bestehe. Sie hat jedoch – im Widerspruch zu ihrer Ankündigung – keine Bemühungen um eine einvernehmliche Festlegung der Ziele unternommen, nachdem der Kläger seine abweichenden Zielvorstellungen mitgeteilt und um Rückmeldung gebeten hatte. Vielmehr hat sie Ziele sodann einseitig vorgegeben.

Ein Schadensersatzanspruch des Klägers ist nicht ausgeschlossen, weil die Beklagte auch bei Abschluss einer Zielvereinbarung nach § 4.2 Satz 7 und 8 AV oder nach § 4.3 Satz 3 AV nicht zur Zahlung verpflichtet gewesen wäre oder der Kläger nach § 4.10 AV eine ihm ggf. zustehende Tantieme nach erfolgter Auszahlung hätte zurückzahlen müssen. Diese Regelungen halten einer Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB nicht stand. Dies führt nach § 306 Abs. 1 BGB zum ersatzlosen Wegfall der Bestimmungen, während der Vertrag im Übrigen wirksam bleibt.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Schadensersatz wegen verspäteter Zielvorgabe
LAG Nürnberg vom 24.04.2024 - 2 SA 293/23
Jürgen Markowski, ArbRB 2024, 233

Schadensersatzanspruch wegen unterbliebener Zielvereinbarung
LAG Köln vom 20.02.2024 - 4 SA 394/23

Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs sowie auf Schadensersatz wegen der Unterlassung einer Zielvorgabe
LAG Düsseldorf vom 15.05.2024 - 14 SLA 81/24

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.09.2024 14:02
Quelle: BAG online

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