LAG Baden-Württemberg v. 11.9.2024 - 4 Sa 10/24
Lohnanspruch nach unwirksamer Kündigung - böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes? LAG weicht von BAG ab
Klagt der Arbeitnehmer nach einer unwirksamen Entlassung auf Zahlung von Annahmeverzugsentgelt, muss er sich gemäß § 11 Nr. 2 KSchG das anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Voraussetzung dafür ist, dass dem Arbeitnehmer die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit bekannt war. Auch der kündigende Arbeitgeber kann auf solche Stellen hinweisen. Wenn der Arbeitgeber jedoch erst nach dem Ende des Verzugszeitraums solche Stellenangebote vorträgt, die in der zurückliegenden Zeit der Arbeitslosigkeit auf dem Internetportal der Agentur für Arbeit gestanden haben sollen, dann ist das idR nicht ausreichend, um eine Kenntnis des Arbeitnehmers zu unterstellen und ein böswilliges Unterlassen zu belegen. Dies hat das LAG Baden-Württemberg entschieden und ist damit vom BAG abgewichen. Die Revision ist anhängig.
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über Annahmeverzugsvergütung für den Zeitraum Juli 2021 bis August 2022. Der Kläger ist bei der Beklagten seit 2014 beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger im Januar 2021 außerordentlich mit Auslauffrist zum 30.6.2021. Die Kündigungsschutzklage des Klägers war – auch in der Berufungsinstanz - erfolgreich.
Der Kläger erhielt von der Agentur für Arbeit während des gesamten Zeitraums seiner Arbeitslosigkeit kein Vermittlungsangebot. Der Kläger hatte jedoch auch von Anfang an gegenüber der Agentur für Arbeit deutlich gemacht, auf den Arbeitsplatz bei der Beklagten zurückkehren zu wollen. Er unternahm auch selbst keine Versuche, eine anderweitige Beschäftigung zu finden.
Im Januar 2023 machte der Kläger sodann Ansprüche auf Annahmeverzugsvergütung geltend für den Zeitraum Juli 2021 bis August 2022. Der Kläger meint, es habe keine Notwendigkeit bestanden, sich anderweitig um Arbeit zu bemühen. Er habe für sich entschieden, seine Beschäftigung bei der Beklagten fortsetzen zu wollen. Jedenfalls nach dem erstinstanzlichen Urteil hätte die Beklagte den Kläger zur Meidung von Annahmeverzugsvergütungsansprüchen weiterbeschäftigen können.
Die Beklagte ist der Ansicht, das Unterlassen jeglicher Bemühungen des Klägers, anderweitig Arbeit zu finden, sei böswillig. Der Kläger wäre bei entsprechenden Bemühungen in der Lage gewesen, eine gleichwertige anderweitige Beschäftigung zu finden. Die Arbeitslosenquote sei dort sehr gering gewesen.
Das ArbG hat der Klage voll entsprochen und die Beklagte zur Zahlung der begehrten Annahmeverzugsvergütung verurteilt. Das LAG entschied ebenfalls im Sinne des Klägers und wies die Berufung der Beklagten ganz überwiegend zurück. Die Revision wurde für die Beklagte zugelassen, da das LAG von der Rechtsprechung des BAG (7.2.2024 - 5 AZR 177/23) abgewichen ist. Die Revision ist dort anhängig (Az.: 5 AZR 273/24), ein Termin ist für den 15.1.2025 anberaumt.
Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung aus §§ 611a Abs. 2, 615 Satz 1 BGB. Lediglich der Höhe nach hat der Kläger etwas zu viel eingeklagt. Insoweit war das Urteil des ArbG teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte befand sich im Zeitraum Juli 2021 bis August 2022 unstreitig im Annahmeverzug iSd. § 615 Satz 1 BGB. Ein Angebot der Arbeitskraft durch den Kläger war wegen des Ausspruchs der Kündigung durch die Beklagte gemäß § 296 BGB entbehrlich.
Der Kläger hatte keinen anderweitigen Verdienst durch tatsächliche anderweitige Arbeit, welchen er sich gemäß § 11 Nr. 1 KSchG anrechnen lassen müsste. Der Kläger muss sich aber auch nicht gemäß § 11 Nr. 2 KSchG anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Von der demnach erforderlichen Kausalität eines böswilligen Unterlassens für einen entgangenen anderweitigen Verdienst kann nur ausgegangen werden, wenn dem Arbeitnehmer die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit bekannt war bzw. bekannt gemacht wurde.
Im entsprechenden Rechtsstreit trägt der Arbeitgeber grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer eine zumutbare Tätigkeit gefunden hätte und dass er diese konkrete Tätigkeitsmöglichkeit nicht wahrgenommen hat. Hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bereits während des Annahmeverzugszeitraums konkrete Stellenangebote unterbreitet, obliegt es im Rahmen einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast dem Arbeitnehmer, so konkret wie möglich hierzu vorzutragen.
Eine Darlegungslast des Arbeitnehmers kann aber nicht ausgelöst werden, wenn der Arbeitgeber erst nach dem Ende des Verzugszeitraums ermittelte Stellenangebote vorträgt, die auf dem Internetportal "Jobbörse" der Agentur für Arbeit gestanden haben sollen und die dem Arbeitnehmer im Verzugszeitraum noch unbekannt waren.
Eine solche erweiterte Darlegungslast des Arbeitnehmers kann auch nicht über den Rechtsgedanken der Bedingungsvereitelung begründet werden (Abweichung von BAG v. 7.2.2024 - 5 AZR 177/23). Ließe man - mit dem 5. Senat des BAG - zu, dass sich der Arbeitgeber auf etwaige freie Stellen berufen kann, die nicht Gegenstand eines Vermittlungsangebots waren und die außerhalb der quantitativen Vorgaben einer Eingliederungsvereinbarung oder eines diesen ersetzenden Verwaltungsaktes waren, würde man de facto den Arbeitnehmer in arbeitsrechtlicher Hinsicht einem schärferen Pflichtenregime unterstellen als ihm sozialversicherungsrechtlich hätte zugemutet werden können. Der notwendige Gleichlauf zwischen Sozialversicherungsrecht und Arbeitsrecht wäre aufgehoben.
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