BSG v. 5.11.2024 - B 12 BA 3/23 R
Lehrkräfte: Sozialversicherungspflicht immer von Umständen des Einzelfalls abhängig
Ob Lehrende sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, ist von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig. Es gibt keine gefestigte und langjährige Rechtsprechung, wonach eine lehrende Tätigkeit - insbesondere als Dozent an einer Volkshochschule - bei entsprechender Vereinbarung stets als selbstständig anzusehen wäre.
Der Sachverhalt:
Die klagende Volkshochschule bietet u.a. Kurse zur Vorbereitung auf die Erlangung eines Realschulabschlusses auf dem zweiten Bildungsweg an. Der beigeladene Student vereinbarte mit ihr die Erteilung von Unterricht im Rahmen solcher Kurse in Recht und Politik. Nach den Vertragsbedingungen der Klägerin war ein Weisungsrecht ausgeschlossen. Die Klägerin stellte die Unterrichtsräume zur Verfügung und stimmte die Unterrichtseinheiten zeitlich mit dem Beigeladenen und den anderen Dozenten ab. Den Unterricht gestaltete der Beigeladene selbstständig. Er übermittelte regelmäßig eine Leistungseinschätzung für die einzelnen Schüler an die Fachbereichsleitung, die diese in einer Art Zwischenzeugnis von allen Lehrenden zusammenstellte. Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund stellte Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung fest.
Das SG gab der hiergegen gerichteten Klage statt und hob die Bescheide auf. Das LSG wies die Berufung der Beklagten zurück. Für die Zeit vor Juni 2022 habe es eine maßgebliche höchstrichterliche “Sonderrechtsprechung“ gegeben, nach der lehrende Tätigkeiten grundsätzlich als selbstständige Tätigkeiten zu beurteilen gewesen seien (etwa BSG v. 12.2.2004 - B 12 KR 26/02 R). Erst durch das Urteil vom 28.6.2022 (B 12 R 3/20 R - "Herrenberg-Urteil") sei eine Änderung eingetreten. Auf davorliegende Zeiträume seien die vermeintlich geänderten Grundsätze nicht übertragbar.
Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf, wies die Klage teilweise ab und verwies sie im Übrigen zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurück.
Die Gründe:
Nach den maßgeblichen Verhältnissen des Einzelfalls war der Beigeladene hier aufgrund Beschäftigung jedenfalls in der Zeit vom 7.8.2017 bis zum 22.6.2018 versicherungspflichtig beschäftigt. Hinsichtlich der späteren Zeiträume war die die Sache zur Durchführung weiterer Ermittlungen an das LSG zurückzuverweisen.
Während selbstständige Lehrer, die der Rentenversicherungspflicht unterliegen, ihre Beiträge selbst tragen müssen, werden die Beiträge im Fall der Beschäftigung von den Versicherten und den Arbeitgebern grundsätzlich zur Hälfte getragen. Auch wenn die Klägerin geltend macht, durch die Beitragszahlung für vergangene Zeiträume ggf. unzumutbar zusätzlich belastet zu werden, vermag allein dies einen Vertrauensschutz nicht zu begründen. Eine gefestigte und langjährige Rechtsprechung, wonach eine lehrende Tätigkeit - insbesondere als Dozent an einer Volkshochschule - bei entsprechender Vereinbarung stets als selbstständig anzusehen wäre, existiert nicht. Daher kann sich die Volkshochschule auch nicht auf den Fortbestand einer früheren Rechtsprechung berufen. Entscheidungen über das Vorliegen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungen beruhen stets auf einer Einzelfallbeurteilung.
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