BAG v. 9.7.2024 - 9 AZR 227/23
AGB-Inhaltskontrolle zu Vereinbarungen über Rückzahlung von Studienkosten
Vereinbarungen über die Beteiligung des Vertragspartners an den Kosten einer vom Verwender finanzierten Ausbildung benachteiligen den Vertragspartner zwar nicht generell unangemessen. Sie können jedoch im Einzelfall gegen Treu und Glauben verstoßen. So ist es nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an das Ausscheiden aufgrund einer Eigenkündigung des Vertragspartners zu knüpfen. Vielmehr muss nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens unterschieden werden.
Der Sachverhalt:
Die Parteien hatten im März 2018 einen „Ausbildungs- und Studienvertrag nach dem TVAöD – Allgemeiner und Besonderer Teil BBiG – und der Richtlinie des Bundes für ausbildungsintegrierte duale Studiengänge“ (Ausbildungs- und Studienvertrag) abgeschlossen. Darin waren unter § 9 auch Rückzahlungsbedingungen/-grundsätze geregelt.
Die Beklagte hat den Ausbildungsteil im Juni 2021 abgeschlossen. Im August 2021 kündigte sie den Ausbildungs- und Studienvertrag zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Im September 2021 forderte die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen die Beklagte erfolglos auf, die Ausbildungskosten i.H.v. 8.122 € zu erstatten. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei gem. § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags zur Erstattung der Studienkosten verpflichtet. Die Beklagte war der Ansicht, die Erstattungsregelung benachteilige sie unangemessen und sei deshalb gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
Arbeitsgericht und LAG haben die Zahlungsklage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin blieb vor dem BAG erfolglos.
Die Gründe:
Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin Studienkosten i.H.v. 8.075 € zu erstatten. Die Erstattungsregelung in § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags ist gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, da sie die Beklagte als Vertragspartnerin der Klägerin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.
Die im Ausbildungs- und Studienvertrag getroffenen Abreden unterliegen der Kontrolle anhand der § 305c Abs. 2, §§ 306, 307 bis 309 BGB. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB steht dem nicht entgegen. Soweit die Klägerin die Ansicht vertreten hatte, es fehle an einer Abweichung von Rechtsvorschriften, da die Regelung in § 18 Abs. 2 Buchst. b TVSöD gem. § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB einer gesetzlichen Regelung gleichstehe, hat sie übersehen, dass zum für die AGB-Prüfung maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 8.3.2018 eine tarifvertragliche Regelung nicht existierte. Der TVSöD ist ausweislich seines § 21 Abs. 1 erst mit Wirkung zum 1.8.2020 in Kraft getreten.
Die Regelung in § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags, die den Vertragspartner mit den Kosten des dualen Studiums belastet, wenn er das Arbeitsverhältnis kündigt, ohne dass ein wichtiger Grund vorliegt, benachteiligt ihn entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Unangemessen ist jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses des Vertragspartners, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Verwenders gerechtfertigt ist oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird. Abzuwägen sind die Interessen des Verwenders gegenüber den Interessen der typischerweise beteiligten Vertragspartner. Im Rahmen der Inhaltskontrolle sind Art und Gegenstand, Zweck und besondere Eigenart des jeweiligen Geschäfts zu berücksichtigen (BAG 5.9.2023 – 9 AZR 350/22).
Vereinbarungen über die Beteiligung des Vertragspartners an den Kosten einer vom Verwender finanzierten Ausbildung benachteiligen den Vertragspartner zwar nicht generell unangemessen. Sie können jedoch im Einzelfall gegen Treu und Glauben verstoßen. So ist es nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an das Ausscheiden aufgrund einer Eigenkündigung des Vertragspartners zu knüpfen. Vielmehr muss nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens unterschieden werden (vgl. BAG 1.3.2022 – 9 AZR 260/21). Verpflichtet eine Klausel den Vertragspartner auch in den Fällen zur Erstattung von Schulungskosten, in denen der Grund für die Eigenkündigung aus der Sphäre des Verwenders stammt, liegt hierin eine unangemessene Benachteiligung (vgl. BAG 23.1.2024 – 9 AZR 115/23).
Infolgedessen differenziert § 9 Abs. 2 Buchst. b hier nicht hinreichend. Die Regelung sieht eine Erstattungspflicht auch in den Fällen vor, in denen der Vertragspartner das Vertragsverhältnis aus einem Grund kündigt, den der Verwender zu verantworten hat. Der in die Rückzahlungsklausel aufgenommene Ausnahmetatbestand, dem zufolge die Rückzahlungsverpflichtung (nur) bei Vorliegen eines wichtigen Grundes entfällt, ist zu eng, da sie nur Gründe i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB, nicht aber andere Gründe ausnimmt, die in der Sphäre des Verwenders angesiedelt sind. Dies gilt insbesondere für den nicht fernliegenden Fall, dass die Beendigung des Vertragsverhältnisses durch ein vertragswidriges Verhalten des Verwenders veranlasst wurde, das zwar nicht die Schwere eines wichtigen Grundes erreicht, dem Vertragspartner aber das Festhalten am Vertrag unzumutbar macht.
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