LAG Köln v. 11.7.2024 - 6 Sa 579/23
Neuer Einsatzort 500 km entfernt: Widerruf der Homeoffice-Erlaubnis ist unbillig
Auch der Widerruf der einmal gegebenen Erlaubnis, die Arbeitsleistung vom Homeoffice aus zu erledigen, ist eine Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts und als solche am Erfordernis billigen Ermessens zu überprüfen. Wird der Betriebsstandort, dem der im Homeoffice arbeitende Arbeitnehmer bisher zugewiesen war, geschlossen und der Arbeitnehmer einem neuen Standort zugewiesen, ohne dass sich der Inhalt der geschuldeten Arbeit ändert, ist diese Neuzuweisung allein kein sachlicher Grund, der die Weisung, nunmehr 500 km entfernt zu arbeiten, als billig erscheinen lassen könnte.
Der Sachverhalt:
Der heute 55-jährige alleinstehende Kläger arbeitet seit 2017 bei der Beklagten im Planungs- und Projektmanagement, insbesondere im Automotive-Bereich am Standort L. Den Job erledigte er während der vergangenen drei Jahre zu 80 % aus dem Homeoffice. Laut Arbeitsvertrag bezog sich sein Einsatzort auf die gesamte Unternehmensgruppe und richtete sich nach den laufenden Projekten der Unternehmensgruppe.
Nach Schließung des Standortes L. versetzte die Beklagte den Kläger zum 1.5.2023 an einen 500 km entfernten Einsatzort M. und widerrief die Erlaubnis, im Homeoffice zu arbeiten. Hilfsweise für den Fall, dass die Versetzung unwirksam sein sollte, kündigte die Beklagte dem Kläger ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt, mithin zum 31.5.2023, verbunden mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen am neuen fortzusetzen. Der Kläger bot im Gegenzug an, seine Tätigkeit im Home-Office fortzusetzen.
Der Kläger hat sich sowohl gegen die Versetzung als auch gegen die hilfsweise erklärte Änderungskündigung gewandt. Er hat vorgetragen, bisher habe er nahezu sämtliche Tätigkeiten aus dem Home-Office erbracht und ansonsten sei er bei den Kunden gewesen. Die kurzfristige Versetzung sei zudem unzumutbar, da es ihm aus privaten Gründen nicht möglich sei, seinen Lebensmittelpunkt so kurzfristig nach M zu verlagern. Ihm sei es zudem unmöglich, innerhalb eines so kurzen Zeitraums eine neue Wohnung zu finden. Letztlich genüge die Versetzung nicht dem Bestimmtheitsgebot. Statt der Änderungskündigung habe als milderes Mittel jedenfalls das Angebot eines Home-Office Arbeitsplatzes im Raume gestanden.
Das Arbeitsgericht gab der Klage gegen die Versetzung sowie gegen die hilfsweise erklärte Änderungskündigung statt. Das LAG hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die Gründe:
Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Versetzung unwirksam war.
Zwar kann der Arbeitgeber kraft des in § 106 GewO ausdrücklich geregelten Weisungsrechts grundsätzlich einseitig, d.h. auch ohne Zustimmung des Arbeitnehmers und notfalls sogar gegen dessen Willen die Einzelheiten der von ihm im Arbeitsvertrag häufig nur rahmenmäßig versprochenen Dienste in fachlicher, örtlicher und zeitlicher Hinsicht konkretisieren. Außerdem kann er Anordnungen zum Verhalten im Betrieb im Einzelfall erteilen sowie abstrakt-generelle Verhaltensregeln erlassen und diese bei Bedarf jederzeit wieder ändern. Der Arbeitgeber hat allerdings bei der Erteilung von Weisungen auch billiges Ermessen zu wahren, d.h., dass sie die berechtigten Belange der Beschäftigten angemessen zu berücksichtigen hat. Und auch der Widerruf der einmal gegebenen Erlaubnis, die Arbeitsleistung vom Homeoffice aus zu erledigen, ist eine Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts und als solche am Erfordernis billigen Ermessens zu überprüfen.
Bei der Prüfung, ob die streitgegenständliche Weisung die Grenzen des billigen Ermessens gewahrt hat, erwiesen sich die zu berücksichtigenden Interessen des Klägers als überwiegend. Sie sprachen gegen einen Widerruf der Erlaubnis, vom Homeoffice aus die Arbeitsleistung zu erbringen. Der Kläger hat ein erhebliches Bestands- und Ortsinteresse. Über Jahre hinweg arbeitete er von einem Homeoffice aus. Dort ist er familiär, logistisch, im Freundeskreis und in der Kultur verortet. Um eine Versetzung von dort in ein Büro 500 km entfernt als „billig“ i.S.v. § 106 GewO erscheinen zu lassen, hätte es sachlicher Interessen der Beklagten bedurft, die die Interessen des Klägers überwiegen. Solche Interessen ergaben sich hier jedoch nicht. Wird der Betriebsstandort, dem der im Homeoffice arbeitende Arbeitnehmer bisher zugewiesen war, geschlossen und der Arbeitnehmer einem neuen Standort zugewiesen, ohne dass sich der Inhalt der geschuldeten Arbeit ändert, ist diese Neuzuweisung allein kein sachlicher Grund, der die Weisung, nunmehr 500 km entfernt zu arbeiten, als billig erscheinen lassen könnte.
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