BAG v. 17.10.2024 - 8 AZR 214/23
Bewerbungsverfahren um die Position der Gleichstellungsbeauftragten: Benachteiligung einer zweigeschlechtlichen Person?
Die landesrechtliche Vorgabe, die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten mit einer Frau zu besetzen, ist nach § 8 Abs. 1 AGG, Art. 14 Abs. 2 RL 2006/54/EG nicht zu beanstanden. Aufgrund der Art der auszuübenden Tätigkeit und der Bedingungen ihrer Ausübung ist es eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung, dass die Gleichstellungsbeauftragte dasselbe Geschlecht aufweist wie die nach dem Gleichstellungsgesetz Schleswig-Holstein vorrangig zu fördernden weiblichen Beschäftigten.
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über einen Anspruch der klagenden Partei auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung ua. aufgrund des Geschlechts im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens um die Stelle einer Gleichstellungsbeauftragten.
Die klagende Partei verfügt über einen Hochschulabschluss als Magistra Juris/Master of Laws LL.M. und war mehrere Jahre akademisch-wissenschaftlich im höheren Dienst an verschiedenen Universitäten beschäftigt. Sie ist zweigeschlechtlich geboren und kann weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden. Sie bezeichnet sich selbst ua. als Hermaphrodit. Das angeborene biologische Geschlecht stimmt mit der geschlechtlichen Identität der klagenden Partei überein. Sie ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt.
Der Beklagte ist ein Landkreis in Schleswig-Holstein. Er veröffentlichte im Oktober 2019 eine Stellenausschreibung für eine Gleichstellungsbeauftragte. Nach Durchlaufen des Bewerbungsverfahrens wurde der klagenden Partei mitgeteilt, dass sich die Auswahlkommission für eine andere Bewerberin entschieden habe.
Die klagende Partei hat vom Beklagten die Zahlung einer Entschädigung verlangt und die Auffassung vertreten, sie sei in nicht gerechtfertigter Weise ua. wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden. Sie sei nur der Form halber zum Auswahlgespräch eingeladen, zu keinem Zeitpunkt aber ernsthaft in die Auswahl einbezogen worden.
Das ArbG gab der Klage teilweise statt. Das LAG wies die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten zurück. Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Das BAG hielt die Klage auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG für begründet.
Die Gründe:
Der Beklagte hat die klagende Partei nicht wegen ihres Geschlechts oder eines anderen Grundes iSv. § 1 AGG benachteiligt. Die unterschiedliche Behandlung der klagenden Partei war nach § 8 Abs. 1 AGG zulässig.
Die klagende Partei wurde dadurch unmittelbar iSv. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt, dass sie vom Beklagten für die ausgeschriebene Stelle einer Gleichstellungsbeauftragten nicht berücksichtigt wurde. Vorliegend kann zu Gunsten der klagenden Partei unterstellt werden, dass sie die unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG wegen ihres Geschlechts erfahren hat. Die unterschiedliche Behandlung der klagenden Partei war jedoch nach § 8 Abs. 1 AGG zulässig.
Die landesrechtliche Vorgabe, die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten mit einer Frau zu besetzen, ist nach § 8 Abs. 1 AGG, Art. 14 Abs. 2 RL 2006/54/EG nicht zu beanstanden. Aufgrund der Art der auszuübenden Tätigkeit und der Bedingungen ihrer Ausübung ist es eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung, dass die Gleichstellungsbeauftragte dasselbe Geschlecht aufweist wie die nach dem Gleichstellungsgesetz Schleswig-Holstein vorrangig zu fördernden weiblichen Beschäftigten. Dieses mit dem Geschlecht im Zusammenhang stehende Merkmal stellt eine Anforderung dar, die angemessen ist und einem rechtmäßigen Zweck iSv. § 8 Abs. 1 AGG, Art. 14 Abs. 2 RL 2006/54/EG dient.
Mit der Vorgabe, Stellen für Gleichstellungsbeauftragte ausschließlich mit Frauen zu besetzen, verfolgt der Landesgesetzgeber einen rechtmäßigen Zweck.
Ausgehend von den durch Landesrecht zugewiesenen Tätigkeiten und Aufgaben, die Gleichstellungsbeauftragte in Schleswig-Holstein ausüben bzw. zu erfüllen haben, ist es eine wesentliche, entscheidende und angemessene berufliche Anforderung iSv. § 8 Abs. 1 AGG, Art. 14 Abs. 2 RL 2006/54/EG, dass die Gleichstellungsbeauftragte dasselbe Geschlecht aufweist, wie die Gruppe der weiblichen Beschäftigten, deren Gleichstellung sie zu fördern hat. Jedenfalls um einen Teil der Tätigkeiten einer Gleichstellungsbeauftragten in Schleswig-Holstein zu erbringen und die durch das Landesrecht zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen, ist das weibliche Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung, weil ansonsten der verfolgte Zweck gefährdet wäre. Zwar ist das weibliche Geschlecht keine zwingende Voraussetzung, um erfolgreich an der Gleichberechtigung von Männern und Frauen mitzuwirken und Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu entwickeln. Etwas anderes gilt jedoch für die Beratung von Frauen in Krisensituationen, insbesondere im Zusammenhang mit einer sexuellen Belästigung. In diesem Bereich ist das weibliche Geschlecht der Gleichstellungsbeauftragten eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung. Die Beschränkung auf weibliche Gleichstellungsbeauftragte stellt sicher, dass Frauen eine weibliche Ansprechpartnerin für Gleichstellungsangelegenheiten haben, was bei typisierender Betrachtung die Bereitschaft steigert, die Hilfe der Gleichstellungsbeauftragten tatsächlich in Anspruch zu nehmen.
Entgegen der Auffassung des LAG ist die Beschränkung auf Personen weiblichen Geschlechts als Gleichstellungsbeauftragte nicht lediglich im Verhältnis zu männlichen, sondern auch gegenüber zweigeschlechtlichen Bewerbern gerechtfertigt. Der Einwand der klagenden Partei, zweigeschlechtliche Menschen seien mindestens ebenso gut wie Frauen geeignet, geschlechtsspezifische Benachteiligungen zu erkennen und abzustellen, weil sie aufgrund ihres Geschlechts stetigen Benachteiligungen im Alltag ausgesetzt seien, greift im Ergebnis nicht durch. Dabei kann der Vortrag der klagenden Partei als zutreffend unterstellt werden, dass zweigeschlechtliche Menschen im Alltag typischerweise vielfältigen Benachteiligungen ausgesetzt sind. Allerdings stehen dabei regelmäßig nicht Benachteiligungen aufgrund der Annahme, die betroffenen Personen seien weiblich, sondern Benachteiligungen aufgrund der Zweigeschlechtlichkeit im Vordergrund. Es kommt vorliegend nicht entscheidend darauf an, ob die betroffene zweigeschlechtliche Person im Einzelfall als Frau „gelesen“ wurde und deshalb mit den Benachteiligungen als Frau vertraut ist. Die gesetzliche Regelung ist notwendig abstrakt-generell und kann deswegen nicht darauf abstellen, ob eine einzelne Person überwiegend als zweigeschlechtlich oder häufiger als Frau oder Mann angesehen wird, was ohnehin von der subjektiven Wahrnehmung abhängt.
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