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BGH v. 18.12.2024 - IV ZR 151/23

D&O-Versicherung: Klausel über automatisches Vertragsende bei Insolvenz ist unwirksam

Eine Klausel in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen einer D&O-Versicherung, die ohne Berücksichtigung der sich aus § 11 Abs. 1 und 3 VVG ergebenden Mindestkündigungsfrist das automatische Ende des Versicherungsvertrages mit dem Ablauf der Versicherungsperiode vorsieht, in welcher der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Versicherungsnehmerin gestellt worden ist, ist unwirksam.

Der Sachverhalt:
Der Kläger, Insolvenzverwalter über das Vermögen der E AG (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin), nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht aus von der Insolvenzschuldnerin und einem früheren Vorstand unterhaltenen D&O-Versicherungen in Anspruch.

Die Insolvenzschuldnerin und ihr früheres Vorstandsmitglied L schlossen mit der Beklagten in den Jahren 2013 bzw. 2014 Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungen, denen u.a. "Allgemeine Versicherungsbedingungen zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Geschäftsführer, Bei- und Aufsichtsräte sowie Vorstände und leitende Angestellte (D&O - Directors & Officers Liability Insurance)" (im Folgenden: AVB) zugrunde lagen.

Darin enthalten war eine Klausel, die das automatische Ende des Versicherungsvertrages mit dem Ablauf der Versicherungsperiode vorsah, in welcher der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Versicherungsnehmerin gestellt wurde.

Im Februar 2016 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet. Die Beklagte teilte dem Kläger mit, dass der Versicherungsvertrag der Insolvenzschuldnerin automatisch mit Ablauf der Versicherungsperiode, in welcher der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Versicherungsnehmerin gestellt worden sei, geendet habe und eine Nachmeldefrist nicht bestehe.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von ca. 870.000 €. In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben. Die Revision hatte Erfolg. Der BGH hob das Urteil auf und verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück.

Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hält die Klausel in Ziff. II.5.b) AVB, soweit sie das automatische Ende des Versicherungsvertrages mit dem Ablauf der Versicherungsperiode vorsieht, in welcher der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Versicherungsnehmerin gestellt worden ist, einer Inhaltskontrolle nicht stand. Die Bestimmung benachteiligt den Versicherungsnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, weil sie gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung des § 11 Abs. 1 und 3 VVG - wonach zugunsten des Versicherungsnehmers im Falle der ordentlichen Kündigung stets eine Mindestkündigungsfrist von einem Monat einzuhalten ist - unvereinbar ist. Die Abweichung von der halbzwingenden Vorschrift (§ 18 VVG) des § 11 Abs. 3 VVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers stellt eine unangemessene Benachteiligung dar.

Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist die Klausel in Ziff. II.5.b) AVB einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht entzogen. Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag fällt in den Anwendungsbereich des § 11 Abs. 3 VVG. Die sich aus dieser Bestimmung ergebenden Mindest- und Höchstfristen für die Kündigung des Vertrages finden nach allgemeiner Ansicht auch auf den in § 11 Abs. 1 VVG geregelten Fall Anwendung, dass die Vertragsparteien zunächst ein Versicherungsverhältnis auf bestimmte Zeit eingegangen sind und - wie hier in Ziff. II.1. Satz 2 AVB - im Voraus eine Verlängerung für den Fall vereinbart haben, dass vor Ablauf der Vertragslaufzeit eine Kündigung nicht erfolgt.

Die sich aus der gemäß § 18 VVG halbzwingenden Regelung in § 11 Abs. 3 VVG ergebende Vorgabe, dem Versicherungsnehmer im Falle der Vertragsbeendigung durch ordentliche Kündigung des Versicherers eine Mindestkündigungsfrist von einem Monat zuzubilligen, gilt - entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung - auch für die in Ziff. II.5.b) AVB vereinbarte "automatische" Beendigung des Vertrages mit Ablauf der Versicherungsperiode, in die eines der in Ziff. II.5.b) AVB genannten Ereignisse - unter anderem die Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Versicherungsnehmerin - fällt.

Die Klausel in Ziff. II.5.b) AVB ist - jedenfalls mit Blick auf die in ihr vorgesehene Beendigung des Vertrages mit dem Ablauf der Versicherungsperiode, in welcher der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Versicherungsnehmerin gestellt worden ist - auch nicht ausnahmsweise aus sonstigen Gründen trotz der Abweichung von § 11 Abs. 1 und 3 VVG mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung zu vereinbaren.

Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht ferner angenommen, dass auch bei einer Unwirksamkeit der Klausel in Ziff. II.5.b) AVB einer Geltendmachung von Leistungen der insolvenzbedingte Ausschluss der Nachmeldefrist in Ziff. II.3. Abs. 1 AVB entgegenstehe und deshalb die erstmalige Anspruchserhebung durch den Kläger gegenüber den ehemaligen Vorstandsmitgliedern der Insolvenzschuldnerin im April 2019 außerhalb einer Nachmeldefrist nach Ziff. I.1., II.3. AVB erfolgt sei.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.01.2025 11:41
Quelle: BGH online

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