Otto Schmidt Verlag

ArbG Gera v. 13.1.2025 - 1 BVGa 5/24

Verhinderung eines Einigungsstellenspruchs durch einstweiligen Rechtsschutz?

Der Einigungsstellenspruch ist für Arbeitgeber und Betriebsrat bis zur Feststellung der Unwirksamkeit des Beschlusses verbindlich und auszuführen. Lediglich bei besonders krassen und offensichtlichen Rechtsverstößen kann der Vollzug eines Einigungsstellenspruchs durch das Arbeitsgericht im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufig ausgesetzt werden. Zweifel an der Einhaltung der Ermessensgrenzen genügen nicht; es bedarf vielmehr der gerichtlichen Überzeugung, dass diese Grenzen überschritten sind.

Der Sachverhalt:
Die Antragsgegnerin betreibt eine Klinik mit ca. 1.000 Betten und etwa 2.500 Mitarbeitern. Der Antragsteller ist der bei der Antragsgegnerin gebildete 19-köpfige örtliche Betriebsrat. Am 19.12.2022 hatte die S. und der Konzernbetriebsrat eine Konzernbetriebsvereinbarung zu der sog. Thematik „Einspringen aus dem Frei“ abgeschlossen. Daraufhin haben die Beteiligten im Ergebnis erfolglos über eine entsprechende örtliche Betriebsvereinbarung zum Ausfallmanagement verhandelt.

Am 6.5.2024 erfolgte die Konstituierung einer Einigungsstelle wegen Nichteinigung über eine Betriebsvereinbarung „Ausfallmanagement“. Es fanden weitere Sitzungen der Einigungsstelle statt. Dabei wurden die jeweiligen Positionen der Beteiligten erörtert und diverse Möglichkeiten zur Herbeiführung eine Lösung diskutiert. Mit Spruch der Einigungsstelle vom 19.11.2024 wurde die Betriebsvereinbarung „Ausfallmanagement“ eingesetzt.

Am 22.11.2024 hat der Antragsteller die Einleitung eines Beschlussverfahrens und Beauftragung des Prozessbevollmächtigten zur Anfechtung des Spruchs der Einigungsstelle beschlossen. Am 9.12.2025 hat der Antragsteller die Antragsgegnerin im Hinblick auf den anberaumten Termin im Hauptsacheverfahren um schriftliche und verbindliche Mitteilung gebeten, dass die Betriebsvereinbarung bis zum Abschluss des Anfechtungsverfahrens keine Anwendung finde. Dies hat die Antragsgegnerin abgelehnt.

Der Antragsteller war der Ansicht, die durch die Stimmen der Antragsgegnerin und des Einigungsstellenvorsitzenden in Kraft gesetzte Betriebsvereinbarung sei aufgrund groben Überschreitens des Ermessens unwirksam. Die Einigungsstelle sei mit ihrem Spruch weit über den Regelungsauftrag der Einigungsstelle im Lichte der Konzernbetriebsvereinbarung hinausgegangen. Die Antragsgegnerin hielt dagegen, es liege weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund vor.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge auf einstweiligen Rechtschutz hinsichtlich eines Unterlassungsanspruchs des Betriebsrats sowie Androhung von Ordnungsgeld zurückgewiesen.

Die Gründe:
Dem Antrag des Betriebsrates fehlte bereits der gem. § 87 Abs. 2 Satz 1, § 85 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 936 ZPO erforderliche Verfügungsgrund.

Die Anrufung des Arbeitsgerichts gem. § 76 Abs. 5 S. 4 BetrVG hat keine suspendierende Wirkung in Bezug auf die Geltung des Spruchs der Einigungsstelle; der Einigungsstellenspruch ist vielmehr für Arbeitgeber und Betriebsrat bis zur Feststellung der Unwirksamkeit des Beschlusses verbindlich und auszuführen. Insoweit ist dem Durchführungsanspruch des § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG Vorrang einzuräumen, zumal die Entscheidung einer Einigungsstelle am Schluss eines gesetzlich geregelten Mitbestimmungsverfahrens steht, es also nicht um die Vereitelung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates geht.

Um diesem gesetzgeberischen Regelungszweck Rechnung zu tragen, sind an den Erlass einstweiliger Verfügungen, die die Durchführung eines Einigungsstellenspruches verhindern sollen, hohe Anforderungen zu stellen, wenn gar man sie nicht generell als unzulässig betrachten würde. Lediglich bei besonders krassen und offensichtlichen Rechtsverstößen kann der Vollzug eines Einigungsstellenspruchs durch das Arbeitsgericht im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufig ausgesetzt werden. Ein solcher Verstoß lag hier aber nicht vor, weder ein Verfahrensfehler noch eine grobe Ermessenüberschreitung.

Zweifel an der Einhaltung der Ermessensgrenzen genügen nicht; es bedarf vielmehr der gerichtlichen Überzeugung, dass diese Grenzen überschritten sind. Im Vorfeld des Spruchs der Einigungsstelle waren hier umfangreich Diskussionen und Lösungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung der beiderseitigen Standpunkte erfolgt. Eine Unangemessenheit ergab sich auch nicht aus dem Inhalt des Spruchs. Es war nicht feststellbar, dass die Einigungsstelle mit ihrem Spruch zumindest offensichtlich außerhalb des ihr zustehenden Rahmens entschieden hatte. Der Inhalt der eingesetzten Betriebsvereinbarung war auch nicht offensichtlich durch die Konzernbetriebsvereinbarung ausgeschlossen.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 28.01.2025 15:38
Quelle: Online-Verwaltung Thüringen

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