LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 25.2.2024 - 5 SLa 104/24
Unwirksame AGB-Klausel zur Erstattung von Studienkosten wegen Ablehnung eines Beschäftigungsangebots
Eine Klausel in AGB, nach der Studiengebühren zu erstatten sind, wenn ein nach Abschluss des Studiums angebotenes Anstellungsverhältnis nicht angetreten wird, benachteiligt die geförderte Studentin unangemessen und ist deshalb unwirksam, wenn praktisch relevante Fallkonstellationen, in denen die Gründe für die Ablehnung des Beschäftigungsangebots nicht in ihrer Verantwortungssphäre liegen, von der Rückzahlungspflicht nicht ausgenommen sind.
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Erstattung von Studienkosten. Die Beklagte nahm am 1.9.2019 bei der Nebenintervenientin, einer privaten Fachhochschule, ein sieben Semester dauerndes Bachelorstudium Physiotherapie auf. Die Nebenintervenientin schloss mit dem Kläger, der eine Praxis für Physiotherapie betreibt, eine Kooperationsvereinbarung zugunsten der Beklagten. Diese regelt insbesondere die Zusammenarbeit zwischen der Nebenintervenientin und dem Kläger im Hinblick auf die von der Beklagten im Rahmen des Physiotherapiestudiums abzuleistenden praktischen Ausbildungszeiten. Zudem schlossen die Parteien eine Vereinbarung zur Studienfinanzierung, in der es in Ziffer 6 u. a. heißt:
"6. Der/die Studierende verpflichtet sich, dem Unternehmen die Studienbeiträge zu erstatten, wenn er/sie entweder den staatlichen Abschluss endgültig nicht erreicht oder bei erfolgreichem Abschluss ein ihm/ihr angebotenes Anstellungsverhältnis nicht antritt."
Nachdem die Beklagte im Juli 2022 die im Studium integrierte staatliche Prüfung zur Physiotherapeutin abgelegt hatte, schlossen die Parteien einen befristeten Arbeitsvertrag über eine Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 20 Stunden für den Zeitraum vom 1.9.2022 bis zum 28.2.2023. Zu diesem Datum endete auch der letzte Studienabschnitt, in dem die Bachelorarbeit anzufertigen war. Im Januar 2023 unterbreitete der Kläger der Beklagten ein konkretes Beschäftigungsangebot im Anschluss an das Studium. Die Beklagte kündigte unter dem 30.1.2023 das befristete Teilzeitarbeitsverhältnis fristgemäß zum 14.2.2023. Daraufhin forderte der Kläger die Beklagte auf, die von ihm an die Nebenintervenientin gezahlten Studiengebühren i.H.v. insgesamt € rd. 11.000 € zu erstatten. Die Beklagte beendete das Studium wie vorgesehen mit dem Bachelorabschluss.
Der Kläger ist der Ansicht, dass die Beklagte aus der Vereinbarung zur Studienfinanzierung verpflichtet sei, die gezahlten Studienkosten in voller Höhe zu erstatten. Er habe der Beklagten bereits im Mai 2022 einen Arbeitsvertrag mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden beginnend ab 1.9.2022 bei einem Monatsgehalt von 3.000 € brutto angeboten. Die Beklagte habe jedoch Bedenken gehabt, ob sie im Falle einer Vollzeitbeschäftigung ausreichend Zeit habe, die Bachelorarbeit rechtzeitig fertigzustellen. Deshalb habe man sich auf eine Teilzeitbeschäftigung verständigt. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass die Rückzahlungsvereinbarung unwirksam sei, da sie hierdurch unangemessen benachteiligt werde. Die Vereinbarung sehe keine Ausnahme für den Fall einer Kündigung durch die Beklagte aus gesundheitsbedingten Gründen vor.
Das ArbG wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers hatte vor dem LAG keinen Erfolg.
Die Gründe:
Der Kläger hat aus Ziffer 6 des Vertrages zur Finanzierung des Studiums keinen Anspruch auf Erstattung der zugunsten der Beklagten gezahlten Studiengebühren i.H.v. rd. 11.000 € nebst Zinsen.
Nach Ziffer 6 des Vertrages verpflichtet sich die Studentin, dem Unternehmen die Studienbeiträge zu erstatten, wenn sie entweder den staatlichen Abschluss endgültig nicht erreicht oder - bei erfolgreichem Abschluss - ein ihr (spätestens drei Monate vor Beendigung des Studiums unter den Vorgaben der Ziffer 8 Buchst. c) angebotenes Anstellungsverhältnis nicht antritt. Bei den Klauseln des Vertrags handelt es sich um AGB. Bestimmungen in AGB sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.
Einzelvertragliche Vereinbarungen, nach denen sich ein Arbeitnehmer an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildung zu beteiligen hat, soweit er vor Ablauf bestimmter Fristen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, sind grundsätzlich zulässig. Sie benachteiligen den Arbeitnehmer nicht generell unangemessen. Es ist jedoch nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an das Ausscheiden aufgrund einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers innerhalb der vereinbarten Bindungsfrist zu knüpfen. Vielmehr muss nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens differenziert werden. Zahlungsverpflichtungen des Arbeitnehmers, die an eine von diesem ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfen, können im Einzelfall gegen Treu und Glauben verstoßen.
Eine Rückzahlungsklausel stellt nur dann eine ausgewogene Gesamtregelung dar, wenn es der Arbeitnehmer selbst in der Hand hat, durch eigene Betriebstreue der Rückzahlungsverpflichtung zu entgehen. Hätte der Arbeitnehmer die in seine Aus- und Weiterbildung investierten Betriebsausgaben auch dann zu erstatten, wenn die Gründe für die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich dem Verantwortungs- und Risikobereich des Arbeitgebers zuzurechnen sind, würde er mit den Kosten einer fehlgeschlagenen Investition des Arbeitgebers belastet. Sieht eine Vertragsklausel auch für einen solchen Fall eine Rückzahlungspflicht vor, berücksichtigt sie entgegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht die wechselseitigen Interessen beider Vertragspartner, sondern nur diejenigen des Arbeitgebers
Eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers ist nicht nur in Fällen anzunehmen, in denen es der Arbeitnehmer nicht in der Hand hat, durch eigene Betriebstreue der Rückzahlungsverpflichtung zu entgehen, weil er durch Gründe in der Sphäre des Arbeitgebers - z. B. durch ein vertragswidriges Verhalten - zu einer Kündigung veranlasst oder mitveranlasst wird. Eine Rückzahlungsklausel ist auch dann unangemessen benachteiligend i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn sie auch den Arbeitnehmer, der das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Bindungsdauer kündigt, weil es ihm unverschuldet dauerhaft nicht möglich ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, zur Erstattung der Fortbildungskosten verpflichten soll. Auch unter dieser Voraussetzung ist eine Bindung des Arbeitnehmers an das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Rückzahlungsverpflichtung von Fortbildungskosten weder durch billigenswerte Interessen des Arbeitgebers noch durch gleichwertige Vorteile des Arbeitnehmers gerechtfertigt.
Entsprechend den Wertungen aus der Rechtsprechung des BAG zu Rückzahlungsklauseln aufgrund einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers müssen jedenfalls praktisch relevante Fallkonstellationen, in denen die Gründe für die Nichtablegung der Prüfung nicht in der Verantwortungssphäre des Vertragspartners liegen, von der Rückzahlungspflicht ausgenommen werden. Ebenso wenig wie eine Rückzahlungspflicht bei einem Arbeitnehmer allein an den Umstand einer Eigenkündigung innerhalb der vereinbarten Bindungsfrist geknüpft werden kann, ist es zulässig, die Rückzahlung von Studienkosten ausschließlich von der Ablehnung des Arbeitsangebots abhängig zu machen, ohne die Gründe hierfür zu berücksichtigen. Nach Ziffer 6 der Studiumfinanzierungsvereinbarung genügt allein der Umstand, dass ein (rechtzeitig) angebotenes Anstellungsverhältnis nicht angetreten wird, um die Rückzahlungspflicht auszulösen. Die Studienkosten sind auch dann zurückzuzahlen, wenn die geförderte Studentin das Beschäftigungsangebot aus Gründen ablehnt bzw. nicht annehmen kann, die nicht in ihrer Verantwortungssphäre liegen, z. B. aus gesundheitlichen Gründen.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung
Zur Unwirksamkeit einer Rückzahlungsklausel für Studienkosten
BAG vom 09.07.2024 - 9 AZR 227/23
Daniela Range-Ditz, ArbRB 2025, 2
ARBRB0074628
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