Das Urteil des EuGH vom 11.4.2013 in den verbundenen Rechtssachen C-335/11 und C-337/11 wirft u.a. folgende Frage auf:
Ein Vollzeitbeschäftigter möchte nach einer mehrere Jahre anhaltenden Arbeitsunfähigkeit seine Tätigkeit wieder aufnehmen. Nach einer Betriebsvereinbarung kann ein bestimmter Teil der Belegschaft Telearbeit beantragen, jedoch soll der Anteil der Telearbeit 40 % nicht übersteigen. Der Arbeitnehmer möchte auf ärztliche Empfehlung zunächst mit 100% Telearbeit starten und diese stufenweise über ein Jahr auf 40% reduzieren. Hilfsweise beantragt er befristet für ein Jahr die Reduzierung seiner vertraglichen Arbeitszeit auf 40%, die sich sukzessive innerhalb dieses Jahres auf 100% erhöhen soll, jedoch mit der Maßgabe, dass gleichbleibend 40% einer Vollzeitbeschäftigung als Telearbeit geleistet werden. Der behandelnde Arzt bescheinigt, dass der Arbeitnehmer unter diesen Voraussetzungen „voll belastbar“ sei und diese Art der „Wiedereingliederung“ den besten Heilungserfolg der psychischen Erkrankung verspreche.
Eine Teil-Arbeitsunfähigkeit ist sowohl im Arbeits– als auch im Sozialversicherungsrecht nicht vorgesehen (BAG v. 29.1.1992 – 5 AZR 60/91; BSG v. 7.12.2004 – B 1 KR 5/03 R). Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer kann nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX die Beschäftigung zur stufenweisen Wiedereingliederung verlangen (BAG v. 13.6.2006 – 9 AZR 229/05). Kann ein schwerbehinderter Arbeitnehmer nun auch eine „Wiedereingliederung“ gegen Vergütung durch den Arbeitgeber verlangen? Nach Art. 2 Abs. 4 des Ãœbereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sind „angemessene Vorkehrungen notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können“. Daraus folgt, dass diese Bestimmung eine weite Definition des Begriffs „angemessene Vorkehrungen“ enthält. Demnach ist Art. 5 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen, dass die Verkürzung der Arbeitszeit eine der in dieser Vorschrift genannten Vorkehrungsmaßnahmen darstellen kann. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob unter den Umständen der Ausgangsverfahren die Verkürzung der Arbeitszeit als Vorkehrungsmaßnahme eine unverhältnismäßige Belastung des Arbeitgebers darstellt.
Damit steht die Rechtsprechung zur Teil-Arbeitsunfähigkeit zumindest in Bezug auf behinderte Arbeitnehmer auf dem Prüfstand.
RA FAArbR Axel Groeger, Bonn
www.redeker.de