Die Streitwertrechtsprechung ist wegen der Besonderheiten der Praxis in nahezu jedem LAG-Bezirk unübersichtlich und für den Praktiker schwer handhabbar. Die Konferenz der Präsidenten der LAG’e hatte im Mai 2012 eine Kommission eingerichtet, die ein Jahr später einen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit (zum Urteils- und Beschlussverfahren) vorgestellt hat. Schon unter den Präsidenten der LAG’e hatte es Uneinigkeiten über die Streitwertfestsetzung gegeben. Es hatten sich lediglich 9 von 18 Landesarbeitsgerichten beteiligt. Der Streitwertkatalog stellt also einen Kompromiss zwischen den Auffassungen der sich beteiligenden LAG-Bezirke dar.
Nachdem der Streitwertkatalog vorgestellt und auch bereits von einigen der Urheber in der NZA (Bader/Jörchle, NZA 2013, 809 ff.) kommentiert worden war, haben bereits einige Gerichte den Streitwertkatalog angewandt, zuerst wohl das LAG Nürnberg im Beschluss vom 21.06.2013 – 7 Ta 41/13 (dazu Grimm, ArbRB 2013, 307). Das LAG führt im Leitsatz aus:
„Der von einer bundesweiten Kommission erarbeitete Streitwertkatalog ist zwar für die Gerichte nicht bindend, sollte aber im Interesse einer möglichst einheitlichen Streitwertgestaltung regelmäßig angewandt werden.“
Genau darin liegt das Problem: Der Streitwertkatalog ist unverbindlich, erweckt aber den Eindruck, er sei verbindlich, und „soll“ dies auch sein. Das hat auch das Arbeitsgericht Magdeburg so verstanden, weil es sich ohne weitere Erläuterungen direkt auf den Streitwertkatalog in einem Urteil beruft (ArbG Magdeburg, Urteil vom 15.07.2013 – 3 Ca 713/13 HBS).
Bedenken bestehen nicht nur innerhalb der Landesarbeitsgerichte, was aus der niedrigen Beteiligung von nur 50 % abgeleitet werden kann, sondern auch im Hinblick auf das Verfahren. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat diese Bedenken nun in einer Stellungnahme vom 30.10.2013 herausgearbeitet und neben grundsätzlichen Erwägungen auch einzelne Wertfestsetzungen, die grundsätzlich zu niedrig sind und die aus anwaltlicher Sicht notwendige Gestaltungen außer Acht gelassen haben, kritisiert. Bei der Festsetzung der Streitwerte wurden die Aspekte wie der Arbeitsaufwand oder das Haftungsrisiko für Anwälte nicht berücksichtigt. Das liegt auch und gerade daran, dass kein Rechtsanwalt am Streitwertkatalog beteiligt war, sondern es sich um ein Werk von allenfalls 50 % der Landesarbeitsgerichte handelt, das – so die Bundesrechtsanwaltskammer – die Interessen und Auffassung der wirtschaftlich vom Streitwert abhängigen Berufsgruppe außer Acht lässt.
Beispielsweise ist im Beschlussverfahren regelmäßig nur der Höchstwert nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zugrunde gelegt. Der Auflösungsantrag ist so gut wie gar nicht bei der Wertfestsetzung berücksichtigt, obgleich es sich um ein Aliud zur streitigen Beendigung zur Kündigung handelt (Streitwertkatalog Ziffer 9). Mehrere Abmahnungen werden nur noch mit 1/3 einer Monatsvergütung bewertet, anders als die „einzige“ bzw. erste Abmahnung, die mit einer Monatsvergütung bewertet wird. Dies obwohl unterschiedliche Sachverhalte zu bewerten sein können.
Neben den einzelnen Punkten weist die Bundesrechtsanwaltskammer völlig zu Recht darauf hin, dass das Vorgehen der Präsidenten der Landesarbeitsgerichte rechtsstaatlich nicht im Arbeitsgerichtsgesetz und im RVG bzw. GKG angelegt ist. Wenn eine solche Katalogbildung stattfindet, bedarf es zweierlei: Einmal der Beteiligung der von den Streitwerten betroffenen Kreise und zum anderen des deutlichen Hinweises darauf, dass ein solcher Katalog unverbindlich ist, was beispielsweise beim Pressekatalog der Sozialgerichtsbarkeit (Buchstabe A. Nr. 4 des Streitwertkataloges für die Sozialgerichtsbarkeit, 4. Auflage 2012) ganz deutlich angesprochen ist. Die Entscheidungen des LAG Nürnberg und des Arbeitsgerichts Magdeburg verdeutlichen, dass die Gefahr der faktischen Beeinflussung der Gerichte besteht und sich die Intentionen der Schöpfer des Streitwertkatalogs realisieren. Man darf abwarten, wie sich die Diskussion fortentwickelt.