Der Sonderkündigungsschutz der §§ 85 ff. SGB IX gilt nach § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX nicht, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung noch nicht länger als sechs Monate bestanden hat. Oft wird in der Praxis die Anzeigepflicht des Arbeitgebers nach § 90 Abs. 3 SGB IX übersehen.
Ungeachtet des fehlenden Sonderkündigungsschutzes und der Nichtgeltung des Kündigungsschutzgesetzes in den ersten sechs Monaten des Bestands eines Arbeitsverhältnisses (gesetzliche Wartezeit) ist in formaler Sicht – was oft übersehen wird – die Anzeigepflicht des § 90 Abs. 3 SGB IX zu beachten. Der Arbeitgeber hat (nur) die Tatsache der Kündigung, nicht aber die anderen Arten der Beendigung von Arbeitsverhältnissen schwerbehinderter Menschen – also von Aufhebungsverträgen – dem Integrationsamt binnen vier Tagen mitzuteilen. Das soll das Integrationsamt dazu befähigen, nach § 102 Abs. 1 und 2 SGB IX Maßnahmen zu begleitender Hilfe zu erbringen, also im Ergebnis den Arbeitgeber zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu bewegen.
Die Anzeigefrist beginnt bei Entlassungen mit dem Tag des Zugangs der Kündigung beim Arbeitnehmer, um eine begleitende Hilfe noch zu ermöglichen (BAG v. 21.3.1980, 7 AZR 314/78, AP SchwbG § 17 Nr. 1; ; HWK-Thies, 5. Auflage 2012, § 90 SGB IX, Rz. 9; LPK-SGB IX-Düwell, 3. Auflage 2011, § 90 SGB IX, Rz. 31). Die Auffassung, maßgeblich sei der Ablauf der Kündigungsfrist (Neumann/Neumann, SGB IX, § 90, Rz. 26), verfehlt den Sinn und Zweck der Norm.
Die Norm hat keine große praktische Bedeutung. Auch bei unterbliebener Anzeige ist für die Kündigung nicht die Zustimmung des Arbeitgebers erforderlich (BAG v. 21.03.1980 – 7 AZR 314/78, AP SchwbG § 17 Nr. 1; anderer Ansicht noch ArbG München v. 30.10.1975 – 11 Ca 7935/75, BB 1976, 139). Die Verletzung der Norm ist auch nicht nach § 156 SGB IX bußgeldbewehrt. Rein theoretisch kann man als Sanktion einen Verzugsanspruch erörtern, sofern amtliche Leistungen verzögert worden sein sollten (so berichtend LPK-SGB IX-Düwell, § 90 Rz. 33 unter Hinweis auf BAG v. 21.3.1980 – 7 AZR 314/78). Zwanziger erwägt (KSchR-Zwanziger, § 90 SGB IX, Rz. 9) einen aus Nebenpflichtverletzung (§ 241 Abs. 2 BGB) abgeleiteten Schadensersatzanspruch auf Wiedereinstellung, wenn es hätte festgestellt werden können, dass bei ordnungsgemäßer Anzeigeerstattung die Kündigung hätte vermieden werden können (kann kaum gehen, weil die Anzeigeerstattung der Kündigung nachfolgt) oder der Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung hätte bewegt werden können. Das ist aber sehr theoretischer Natur.
Weitere Anmerkung: Nach § 90 Abs. 3 SGB IX muss auch eine vertragliche Probezeit angekündigt werden. Auch das führt aber im Verletzungsfall nicht zur Unwirksamkeit der Probezeitvereinbarung (LAG Düsseldorf v. 9.6.1978 – 16 Sa 891/77 – EzA § 17 SchwbG Nr. 1; LPK-SGB IX-Düwell, § 90 SGB IX, Rz. 35).