Nachdem der Bundestag bereits am 3.7.2014 den einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn beschlossen hat, hat am 11.7.2014 auch der Bundesrat dem Mindestlohngesetz (MiLoG) zugestimmt. Damit wird der Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde zum 1.1.2015 in Kraft treten.
Das beschlossene Gesetz weicht dabei in einigen Punkten von dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (MiLoG-E) (dazu Sittard/Sassen, ArbRB 2014, 142 ff.) ab. Die wesentlichen Änderungen werden nachfolgend im Überblick dargestellt:
Die erste Abweichung des jetzt beschlossenen MiLoG vom Gesetzentwurf der Bundesregierung betrifft die Sonderregelung zur Fälligkeit, wenn die Vergütung von Überstunden in Rede steht. Im Grundsatz wird der Mindestlohn spätestens am Ende des Monats fällig, der auf den Monat der Arbeitsleistung folgt (vgl. § 2 Abs. 1 MiLoG). Wenn ein (schriftlich vereinbartes) Arbeitszeitkonto existiert, konnte schon nach dem MiLoG-E ein Ausgleich für über die vertragliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeit innerhalb von zwölf Monaten entweder durch Freizeitgewährung oder durch Zahlung des Mindestlohns ausgeglichen werden. Damit galt (und gilt) insoweit eine abweichende Fälligkeitsregelung. Bei dieser Regelung war unklar, ob dies auch dann gelten sollte, wenn die betroffenen Mitarbeiter weit mehr als den Mindestlohn verdienen. Daher wurde die Gefahr gesehen, dass alle Arbeitszeitkonten an die Regelung des § 2 Abs. 2 MiLoG-E angepasst werden müssen, also bspw. einen Ausgleichszeitraum von zwölf Monaten vorsehen müssen. Diesen Punkt hatte insbesondere der Ausschuss Arbeitsrecht des DAV (Stellungnahme 17/2014) thematisiert. Wohl auf diesen Einwand hat der Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales reagiert und eine Ergänzung des § 2 Abs. 2 MiLoG-E vorgeschlagen. Danach besteht eine Ausgleichspflicht in Freizeit oder Mindestlohnzahlung nur, „soweit der Anspruch auf den Mindestlohn für die geleitsteten Arbeitsstunden nach § 1 Abs. 1 nicht bereits durch Zahlung des verstetigten Arbeitsentgelts erfüllt ist.“ Damit wird klargestellt, dass die Spezialregelung des MiLoG nur beachtet werden muss, wenn durch die Überstunden der gesetzliche Mindestlohn unterschritten würde.
Die zweite bedeutsame Änderung liegt im Vorziehen der erstmaligen Anpassungsmöglichkeit des Mindestlohns durch die Mindestlohnkommission (§§ 4 ff. MiLoG). Nach dem Entwurf der Bundesregierung konnte der Mindestlohn erstmals zum 1.1.2018 geändert werden, nach der nun beschlossenen Regelung indes schon zum 1.1.2017. In Abweichung vom ursprünglichen Entwurf entscheidet nun die Mindestlohnkommission nicht mehr jährlich, sondern nur alle zwei Jahre über Anpassungen des Mindestlohns (§ 9 Abs. 1 MiLoG). Weitere Änderungen liegen in einer Evaluierungspflicht hinsichtlich der Auswirkungen des Mindestlohns durch die Mindestlohnkommission sowie darin, dass der Kommission die Möglichkeit gegeben wird, Anhörungen der Sozialpartner, Wohlfahrtsverbände etc. vor dem Beschluss eines Mindestlohns vorzusehen. Zudem wurde vor dem Erlass der Mindestlohnverordnung, die auf Vorschlag der Kommission von der Bundesregierung erlassen werden kann (!) und die den Mindestlohn in Kraft setzt, ein Anhörungsrecht insbesondere für die Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer eingeführt.
Bereits der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah eine Subunternehmerhaftung vor. Diese ist auch weiterhin im Gesetz vorgesehen (§ 13 MiLoG), wobei jetzt nur noch eine entsprechende Anwendung von § 14 AEntG angeordnet wird.
Die wohl am heftigsten diskutierte Abweichung vom Gesetzentwurf der Bundesregierung betrifft den persönlichen Anwendungsbereich des MiLoG und die Übergangsregelung, die in den §§ 24 und 25 geregelt sind:
Es bleibt dabei, dass Pflichtpraktika sowie Praktika zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder ein Studium sowie berufs- oder hochschulausbildungsbegleitende Praktika nicht mit dem Mindestlohn zu vergüten sind, wobei für alle freiwilligen Praktika die Befreiung vom Mindestlohn nur für Praktika von bis zu drei Monaten gilt. Erstmals wird auch der Begriff des Praktikanten definiert. Nach § 24 Abs. 1 MiLoG ist Praktikant, „wer sich nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses für eine begrenzte Dauer zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit unterzieht, ohne dass es sich dabei um eine Berufsausbildung im Sinne des Berufsbildungsgesetzes oder um eine damit vergleichbare praktische Ausbildung handelt.“ Damit wird der Ausbildungszweck eines Praktikums betont. Studenten oder Auszubildende als „Ersatzarbeitskräfte“ erfüllen diese Definition gerade nicht, so dass hier der Mindestlohn zu zahlen ist. Im Einzelfall wird die Abgrenzung gewiss Schwierigkeiten bereiten.
Unverändert geblieben sind auch die Ausnahmen des Mindestlohns für unter 18-jährige sowie für Langzeitarbeitslose.
In der Übergangsregelung (§ 25 MiLoG) wurde eine branchenspezifische Lösung für Zeitungszusteller getroffen. Danach haben Zeitungszusteller ab dem 1.1.2015 einen Anspruch auf 75 % und ab dem 1.1.2016 auf 85 % des Mindestlohns. Vom 1.1.2017 bis zum 31.12.2017 beträgt der Mindestlohn für diese Gruppe dann 8,50 Euro. Zugleich wird der Begriff des Zeitungszustellers definiert als „Personen, die in einem Arbeitsverhältnis ausschließlich periodische Zeitungen oder Zeitschriften an Endkunden zustellen; dies umfasst auch Zusteller von Anzeigenblättern mit redaktionellem Inhalt.“ Mit dieser Regelung reagiert der Gesetzgeber auf die Warnungen vor einem „Zeitungssterben“ aufgrund der Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde.
Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro gilt ab dem 1.1.2015 auch für Saisonkräfte in der Landwirtschaft, also sog. Erntehelfer. Um dieser Branche die Einführung des Mindestlohns zu erleichtern, wird die bereits vorhandene Möglichkeit der kurzfristigen sozialabgabenfreien Beschäftigung von 50 auf 70 Tage ausgedehnt (Änderung von § 115 SGB IV). Diese Regelung wird auf vier Jahre befristet. Sie beeinflusst die Höhe des Mindestlohns nicht.
Im Ergebnis können die Abweichungen vom ursprünglichen Gesetzentwurf damit wohl als recht gering bezeichnet werden. Sehr bedauerlich ist, dass es weiterhin – wohl aus Gründen des politischen Signals – bei der unflexiblen Anordnung eines Mindestlohns von 8,50 Euro pro Zeitstunde geblieben ist. Damit bleibt ungeklärt, ob und inwieweit eine Durchschnittsbetrachtung des Entgelts im gesamten Fälligkeitszeitraum erfolgen darf (und muss). Dies wird insbesondere dann relevant, wenn der Grundlohn zwar weniger als 8,50 Euro/Stunde beträgt, aber z.B. Zulagen und Zuschläge im Monatsdurchschnitt zu einem Lohn von mehr als 8,50 Euro führen. Ebenso ungeklärt bleibt die Anrechenbarkeit von Gratifikationen und Boni sowie sonstigen nicht-monatlichen Sonderzahlungen des Arbeitgebers auf den Mindestlohn. Hier wird nun die Rechtsprechung gefordert sein.
Dr. Ulrich Sittard, Rechtsanwalt bei Freshfields Bruckhaus Deringer in Köln und Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln