Zwei Entscheidungen des BAG zeigen, dass die Mitbestimmung des Betriebsrats bisher in ihrer Komplexität in der Praxis unterschätzt wurde und der sorgfältigen beratenden Vorbereitung bedarf. Vor allem die Mitbestimmung beim betrieblichen Gesundheitsschutz ist dabei angesichts gestiegener Belastungen der Arbeitnehmer in letzter Zeit verstärkt in den Fokus gerückt.
In einem Beschluss vom 18.3.2014 (1 ABR 73/12, ArbRB online) befasste sich das BAG mit der Frage, ob ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht, wenn der Arbeitgeber Unternehmerpflichten hinsichtlich des Arbeits- und Umweltschutzes auf Arbeitnehmer in Führungspositionen überträgt. Zu den übertragenen Aufgaben zählten die Pflicht, auf die Einhaltung und Anwendung der Gesundheitsvorschriften zu achten, erforderliche Anweisungen an nachgeordnete Mitarbeiter zu erteilen, Arbeitsplätze und Baustellen zu kontrollieren, Unfälle zu analysieren und durch geeignete Maßnahmen auszuschließen und mit Betriebsarzt, Sicherheitsfachkraft, Sicherheitsbeauftragten und Betriebsrat im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften zusammenzuarbeiten.
Der Senat stellt wie das LAG fest, dass die erfolgte Anweisung der Mitbestimmung des Betriebsrats unterlag. Einleitend führt das Gericht dabei allgemein aus, dass das Ziel der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG die bestmögliche Gewährung der psychischen und physischen Integrität der Arbeitnehmer, also die Vermeidung arbeitsbedingter Beeinträchtigungen, sei. Soweit dabei Rahmenvorschriften Anwendungsspielräume ließen, seien die betrieblichen Regelungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam festzulegen. Mitbestimmt sei allerdings nur eine kollektive Regelung, also eine solche, die sich auf einen Tatbestand beziehe, für den eine abstrakt-generelle Lösung erforderlich sei. Hierbei unterscheidet der Senat zwischen der Übertragung einzelner Aufgaben und der Schaffung einer Aufbauorganisation. Erschöpfte sich die Maßnahme des Arbeitgebers allein in der Übertragung einzelner Aufgaben auf Dritte, so liege typischerweise eine mitbestimmungsfreie Beauftragung nach § 13 Abs. 2 ArbSchG vor. Abzugrenzen davon sei hingegen die Schaffung einer Ausbau- und Ablauforganisation, die kollektiven Charakter habe und mitbestimmungspflichtig sei. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ArbSchG habe der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeit und der Zahl der Beschäftigung im Betrieb für eine geeignete Arbeitsschutzorganisation zu sorgen und nach Nr. 2 Vorkehrungen dafür zu treffen, dass erforderliche Maßnahmen bei allen Tätigkeiten und eingebunden in die betrieblichen Führungsstrukturen beachtet werden. Vorliegend erschöpfe sich die Maßnahme aber nicht in einer Einzelbeauftragung. Die umfassende Aufgabenzuweisung und der große Spielraum an Verantwortlichkeiten, die eingeräumt worden sei, spreche eindeutig für die Schaffung einer betrieblichen Aufbau- und Ablauforganisation.
Angesichts einer Vielzahl von Entscheidungen, die Breite und Tiefe des Mitbestimmungsrechts beim Gesundheitsschutz im Betrieb, namentlich im Bereich psychischer Belastungen am Arbeitsplatz, verstärken und des völligen Fehlens von Griffigkeit dieses Themas kommt es in der Praxis zu umfangreichen, u. U. zeitlich völlig ausufernden innerbetrieblichen Diskussionen und ebensolchen Einigungsstellenverfahren. In diesem Zusammenhang hat der Senat ebenfalls kürzlich (Beschluss vom 11.2.2014 – 1 ABR 72/12, ArbRB online) eine Entscheidung gefällt. Hier hatte die Einigungsstelle in der 13. (!) Sitzung eine Entscheidung getroffen, die nur einen Teilkomplex des Problems betraf. Der Spruch der Einigungsstelle wurde vom Arbeitgeber angefochten und vom Senat mit der Begründung aufgehoben, dass eine Einigungsstelle ihrem Regelungsauftrag umfassend nachkommen und eine abschließende Regelung treffen müsse. Dies war hier nicht der Fall, weil die Arbeitnehmer einer Betriebsstätte in ein anderes Gebäude umgezogen waren, was der Einigungsstellenspruch nicht berücksichtigt hat.
Die beiden Entscheidungen zeigen, dass in der Praxis die Lösung der Frage, wie weit die Mitbestimmung des Betriebsrats geht, nur im Konsens möglich ist, da die Thematik so viele Facetten bietet, dass eine streitige Entscheidung zu einer Komplexität führen kann, die zu Einigungsstellen über unabsehbare Laufzeiten führen kann.
Axel Braun, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Köln