Bei der Auslegung des MiLoG besteht Unklarheit darüber, ob Arbeitnehmer für Zeiten der Nichtarbeit (etwa nach § 615 BGB, §§ 2, 3 EFZG oder § 1 BUrlG) Mindestlohn beanspruchen können. § 2 Abs. 1 Nr. 2 MiLoG knüpft an die erbrachte Arbeitsleistung an. Das deutet auch die Regierungsbegründung (BT-Drs. 18/1558, 34), die von „geleisteten Arbeitsstunden“ spricht, an. Nun wissen wir, dass der Gesetzgeber in seinen Materialien nicht immer vollständig präzise und (zu Ende) durchdacht formuliert. Manche (ErfK/Franzen, § 1 MiLoG, Rz. 19, 20) haben daraus gleichwohl abgeleitet, dass im Bereich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall kein Anspruch auf Mindestlohn bestehen soll. Das entspreche der synallagmatischen Regelung des § 326 BGB (so im dogmatischen Ausgangspunkt auch Beck’scher OK Arbeitsrecht/Greiner, § 1 MiLoG, Rz. 75). Im Arbeitsrecht können Sonderregelungen zu § 326 Abs. 1 BGB den Entgeltanspruch aber aufrechthalten. Das BAG hat sich am 13.05.2015 (Az. 10 AZR 191/14, liegt bislang nur als PM 30/15 vor) zum Mindestlohn nach dem AEntG geäußert und zumindest mittelbar zu dieser Frage Stellung genommen.
In Bezug auf den Mindestlohn für pädagogisches Personal nach der auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Nr. 8, § 6 Abs. 9 AEntG ergangenen „Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch“ vom 15.11.2011 hat das BAG entschieden, dass sich die Höhe der Entgeltfortzahlung an Feiertagen und im Krankheitsfall nach den Regelungen der MindestlohnVO bemisst. Eine niedrigere vertragliche Vergütung sei nicht anwendbar.
Das BAG leitet dies aus dem Entgeltausfallprinzip (§ 2 Abs. 1, § 3 i.V.m. § 4 Abs. 1 EFZG) ab. Damit teilt es gegenteiligen Auffassungen (siehe ErfK/Franzen, a.a.O.) in Übereinstimmung mit der inzwischen herausgebildeten h.M. (zuletzt Bayreuther, NZA 2015, 385, 391; Beck’scher Online-Kommentar ArbR/Greiner, § 1 MiLoG, Rz. 76; vorsichtiger noch Tschöpe/Grimm, ArbR-Handbuch, 9. Aufl. 2015, Teil 6 E, Rz. 89) eine Absage. Die Erwägungen zum AEntG lassen sich ohne Weiteres auf die Entgeltfortzahlung beim Mindestlohngesetz übertragen.
Den Bemerkungen des BAG kann man im Übrigen entnehmen, dass seine Bewertung auch für die Fortzahlung der Vergütung im Urlaub (§ 11 BurlG) gilt (so auch Bayreuther, Greiner a.a.O.). Die Mindestlohnpflicht im Annahmeverzug folgt im Übrigen aus § 615 BGB, weil der arbeitsvertragliche Vergütungsanspruch erhalten bleibt und der Arbeitnehmer die fehlende Arbeitsfähigkeit nicht verursacht hat (Tschöpe/Grimm, a.a.O. Rz. 89; Bayreuther, NZA 2015, 385, 391).
Ein Rückgriff des Arbeitgebers in all diesen Fällen auf eine vertragliche, unter dem Mindestlohn nach dem MiLoG liegende Vergütung ist unzulässig. Für die Praxis ist sehr erfreulich, dass das BAG den zur Entscheidung anstehenden Fall zum Mindestlohn nach dem AEntG genutzt hat, auf das MiLoG übertragbare Ausführungen zu machen (jedenfalls nach den Formulierungen der Pressemitteilung 30/15 des BAG). Die Diskussion ist beendet.