Das Institut der betrieblichen Übung ist durch keine in der arbeitsrechtlichen Literatur herangezogene Theorien der letzten Jahrzehnte überzeugend erklärt worden. Die Praxis lebt damit; Entscheidungen dazu gibt es in Hülle und Fülle. Wohl deshalb berufen sich immer wieder Arbeitnehmer zur Begründung verschiedener Ansprüche, nicht nur auf Geld, auf die betriebliche Übung. Dies betrifft beispielsweise die Dienstbefreiung am Rosenmontag, Internet- und E-Mail-Nutzung, Radio hören im Betrieb und Raucherpausen. Dazu hat sich das LAG Nürnberg in einem lesenswerten Urteil vom 05.08.2015 (2 Sa 132/15, ArbRB 2015, 326 [Grimm]) nun geäußert.
Seit vielen Jahren hatte sich im Betrieb des Arbeitgebers eingebürgert, dass die Beschäftigten zum Rauchen ihren Arbeitsplatz verlassen, ohne am Zeiterfassungsgerät ein- bzw. auszustempeln. Dementsprechend wurde für diese Raucherpausen auch kein Lohnabzug vorgenommen. Der Arbeitgeber hatte das Rauchen in den Pausen und generell während der Arbeitszeit im Aufenthaltsraum sowie den Toiletten und im gesamten Hallenbereich verboten. Der Arbeitgeber richtete eine Raucherinsel in der Nähe des Haupteingangs ein. Dieser befand sich in der Nähe der Stechuhr und wies an, dass nur an diesem Platz das Rauchen erlaubt sei. Eine zum 1.1.2013 in Kraft getretene Betriebsvereinbarung ordnete zusätzlich an, dass bei der Entfernung vom Arbeitsplatz zum Rauchen die nächstgelegenen Zeiterfassungsgeräte zum Aus- bzw. Einstempeln vor und nach Beginn der Rauchpause zu benutzen sind.
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Der Kläger – stellvertretender Betriebsratsvorsitzender –  wandte sich dagegen, dass ihm im Januar 2013 insgesamt 210 Minuten für Raucherpausen von der Arbeitszeit abgezogen und nicht vergütet worden waren. Die Abzüge für Februar und März 2013 betrugen 96 bzw. 572 Minuten. Er ist der Meinung, dass ihm ein Anspruch auf Bezahlung der Raucherpausen nach den Grundsätzen der betrieblichen Ãœbung zustehe. Aus dem Verhalten der Beklagten habe er geschlossen und schließen dürfen, dass Raucherpausen auch zukünftig weiter bezahlt würden.
Vor Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung seien zu keinem Zeitpunkt Lohnabzüge wegen der Raucherpausen vorgenommen worden und der Arbeitgeber habe die Raucherpausen im Umfang von durchschnittlich 60-80 Minuten pro Arbeitnehmer und Tag (!) durch Fortzahlung der Vergütung gebilligt. Die am 01.01.2013 in Kraft getretene Betriebsvereinbarung habe den Anspruch aus betrieblicher Übung (wegen des Günstigkeitsprinzips) nicht abändern können. Es sei auch betriebsüblich, dass die Arbeitnehmer Raucherpausen nehmen dürfen.
Sowohl das ArbG Würzburg als auch das LAG Nürnberg haben die Klage des BR-Mitgliedes, dass die BV zur Raucherpause mitverhandelt hatte (!), abgewiesen.
Nach zutreffender Auffassung des LAG Nürnberg konnte der Kläger nicht auf einen Verpflichtungswillen des beklagten Arbeitgebers schließen, dass dieser über den 01.01.2013 hinaus Raucherpausen unter Fortzahlung der Vergütung gewähren wollte. Es stellt alle (aus seiner Sicht sechs) Argumente gegen die Annahme einer betrieblichen Übung dar (B.III.1-6 der Gründe)).
Schon wegen erheblichen Entgeltwertigkeit der Raucherpausen von 60-80 Minuten habe kein Arbeitnehmer darauf vertrauen können, dass der Arbeitgeber sich habe verpflichten wollen (Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 15 Aufl. 2013, §110, Rz. 11; Bepler, RdA 2004, 226 (237)). Hier soll Nichtarbeit bezahlt werden, dass könne man nicht auf Dauer als betriebliche Übung erwarten.
Auch läge keine regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen vor, weil Länge und Häufigkeit der Pausen unterschiedlich seien.
Dem Arbeitgeber sei die betriebliche Handhabung der Pausen gar nicht erkennbar gewesen, was wiederum auf die Arbeitnehmer, die die Pausen autonom gewählt und gesucht hätten, gewusst hätten. Daher habe es von einem hinreichend bestimmten Angebot einer Leistung durch den Arbeitgeber gefehlt.
Der Arbeitgeber habe hier auch nur eine Handhabung geduldet, ohne sie im Einzelnen zu kennen.
Gegen die Annahme der betrieblichen Übung spreche auch, dass es sich nicht um materielle Zuwendungen, sondern nur um Annehmlichkeiten gehandelt habe; da sei die Annahme der betrieblichen Übung selten (BAG v. 17.09.1970 – 5 AZR 539/69).
Evident sei die Ungleichbehandlung zu den Nichtrauchern, die für das gleiche Geld im Schnitt über 10 % mehr Arbeitsleistung erbringen müssten als die Raucher. Nur Raucher könnten sich nach der früheren Handhabung nach ihrem Gutdünken vom Arbeitsplatz entfernen.
Schließlich sei Rauchen der Gesundheit abträglich, der Arbeitgeber müsse Gesundheitsgefahren vorbeugen. Die Betriebsvereinbarung zum Rauchen diene im Rahmen des § 5 ArbStättV einem Ausgleich der Belange mit denjenigen der Nichtraucher. Würde man rauchen bezahlen, würde man Anreize zur Gesundheitsgefährdung setzen. Hier könnte man natürlich sagen, dass dann die Nichtraucher eine „Bet- oder Meditationspause“ nach ihrem eigenen Gutdünken bis maximal 80 min. täglich bezahlt erhalten könnten. Mit diesem Aspekt, der eine Ungleichbehandlung ausschließen würde, setzt sich das LAG Nürnberg nicht auseinander.
Hoch interessant ist die Entscheidung auch deshalb, weil das Gericht hinsichtlich des Umstands, dass der Arbeitgeber hier nur eine Handhabung duldet, von deren genauer Handhabung durch die Arbeitnehmer er keine Kenntnis hat, einen Bezug zur betrieblichen Telekommunikation herstellt:
„Die Situation ist ähnlich wie bei der privaten Nutzung der betrieblichen Telefonanlagen, des E-Mail-Servers oder des Internets.“
Es handelt sich um die erste Entscheidung auf der Ebene der Landesarbeitsgerichte, die die betriebliche Ãœbung bei der Internet- und E-Mail-Nutzung ausschließt. Das ist ein wichtiges Statement, nachdem das ArbG Wesel (v. 21.03.2001 – 5 Ca 4021/00, NJW 2001, 2490 (2491)) einen Anspruch aus betrieblicher Ãœbung bei einer über sechs Monate geduldeten Internet- und E-Mail-Nutzung gewährt hatte. Zwar hatten sich hiergegen Stimmen in der Literatur ausgesprochen (ablehnend Waltermann, NZA 2007, 529 (533); Thüsing, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, § 3 Rz. 79 ff; Tschöpe/Grimm, Arbeitsrecht, 9. Aufl. 2015, Teil 6 F, Rz. 124; anderer Ansicht:  Däubler, Internet und Arbeitsrecht, Rz. 185; Krämer, NZA 2006, 457 (459)), jedoch fehlten noch höchstrichterliche Judikate. Umso erfreulicher ist dieses Obiter Dictum eines Landesarbeitsgerichts. Man hat das Gefühl, dass die Kammer einfach mal was zum Surfen und Mailen am Arbeitsplatz sagen wollte.
Nichtzulassungsbeschwerde ist eingelegt, so dass vielleicht das BAG (5 AZN 872/15) Gelegenheit zur Stellungnahme haben oder sich nehmen wird.
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