Spontan denkt man an Kafkas Roman. Hier geht es mehr um das juristische Denken, also das prozesshafte der Rechtsfindung. Nicht immer, aber manchmal scheint die Rechtsfindung Richtern leicht zu fallen. Manchmal, aber eher selten sind die Gedankenwege, die zum Recht führen, verschlungen. Wenn ein Urteil vermittelt, dass sich das Gericht die Sache nicht leicht gemacht, sondern die Rechtslage unter allen Aspekten sorgfältig geprüft hat und man den Ãœberlegungen des Gerichts folgen kann – ohne sie teilen zu müssen -, ist dies wohltuend. Manchmal ist man sogar beseelt von der Vorstellung, dass ein solches Urteil am Ende eines Prozesses auch für die Richter eine Lust und keine Last war; erbaulich, was Alain in dem Büchlein „Die Pflicht glücklich zu sein“ unter der Ãœberschrift „Arbeiten“ zu Dostojewskis „Erinnerungen aus einem Totenhaus“ geschrieben hat.
Ich räume ein, dass dennoch die schönsten Prozesse die sind, die von nur einer Rechtsfrage abhängen, die entweder gesetzlich gar nicht geregelt ist oder bei der es um die Auslegung einer einzigen Norm geht. Gesetzlich ist beispielsweise nicht geregelt, ob für arbeitsrechtliche Streitigkeiten zwischen dem angestellten Personal ausländischer Vertretungen und dem ausländischen Staat die deutsche Gerichtsbarkeit zuständig ist. Das LAG Köln hat dazu und zur Darlegungs- und Substantiierungslast abgewogen Stellung genommen (Urt. v. 19.1.2016 – 12 Sa 319/15, ArbRB online). Beispielsweise kommt es für die Frage, ob ein Arbeitnehmer ein Recht auf Einsicht in Untersuchungsberichte hat, die wegen angeblicher oder tatsächlicher Verstöße gegen Compliance-Regelungen im Zuge von Untersuchungen bei seinem Arbeitgeber erstellt wurden, auf §§ 241 Abs. 2, 242 BGB an, wenn man nicht § 810 BGB als lex specialis für einschlägig hält.
Dazu fehlt bislang eine klare Position. Sie könnte so aussehen, dass dann, wenn bei einer summarischen Prüfung der Sachlage viel mehr dafür spricht, dass der Arbeitnehmer – mindestens fahrlässiger – Schädiger und nicht Geschädigter ist, ein solcher Anspruch nicht gegeben ist. Weshalb der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) Urkunden und Abschlussberichte über Compliance-Verstöße aushändigen solle, könnte vor einem solchen Hintergrund als nicht nachvollziehbar angesehen werden. Man könnte dagegen einwenden, dass die Idealvorstellung über die mit verbundenen Augen urteilende Justitia anders aussieht und dass einer derartigen Urteilsbegründung der Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG geradezu auf die Stirn geschrieben steht. Der mit einem derartigen Kainsmal versehene Arbeitnehmer würde wohl wegen einer solchen Urteilsbegründung die Besorgnis haben, dass der Richter ihm gegenüber befangen ist. Dem könnte wiederum entgegengehalten werden, dass es sich bei der Rechtsfindung stets um einen „irrtumsanfälligen Akt“ (BAG v. 23.3.2010 – 9 AZR 128/09, ArbRB online) handelt und dass nur dann, wenn zusätzliche konkrete Umstände hinzukommen, aus denen sich ergibt, dass die Richter nicht bereit sind, nach Aufhebung ihrer Entscheidung ihre früher geäußerte Meinung kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern, ein Grund für die Besorgnis der Befangenheit vorläge. Dagegen könnte § 43 ZPO sprechen, der gebietet, dass die betroffene Partei dies eben gerade nicht abwartet. Wenn der abgelehnte Richter unmittelbar nach Eingang des Ablehnungsantrages eine dienstliche Erklärung abgeben würde, aus der sich ergäbe, dass er sich nicht mehr an alles, was er seinerzeit in dem mehr als ein Jahr zurückliegenden Termin mündlich geäußert hatte, erinnern kann, aber immerhin noch daran, dass er in der mündlichen Verhandlung die Erklärung des Anwalts des Klägers zur Kenntnis genommen hatte, dass dieser nicht einmal alle Akten dabei hatte, wohl vor dem Hintergrund, dass (nur er) wusste, dass der Kläger nicht ansatzweise vergleichsbereit war, könnte dies vielleicht als ein nachträglicher, zusätzlicher konkreter Umstand angesehen werden, der die Besorgnis der Befangenheit begründet. Vielleicht jedenfalls dann, wenn der Kläger durchaus grundsätzlich vergleichsbereit war, nur eben nicht zu den Bedingungen des Arbeitgebers oder des abgelehnten Richters. Was aber, wenn die dienstliche Erklärung in den Akten des Gerichts verblieben und vor der Entscheidung über den Ablehnungsantrag nicht übermittelt worden wäre? Würde dies die Besorgnis des Arbeitnehmers besänftigen oder eher verstärken? Auch darin läge ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, der immerhin mit der Anhörungsrüge nach § 78 a ArbGG gerügt werden könnte (siehe Kliemt in: Schwab/Weth, ArbGG, 4. Aufl. 2015, § 49 Rd. 143).
Ganz schön kafkaesk! Außerhalb des Karnevals besteht aber nur an einem Tag im Jahr Narrenfreiheit, nämlich am 1. April. Die vorstehenden Erwägungen sind nicht frei erfunden und weisen auch nicht nur zufällig Ähnlichkeiten bzw. Identitäten mit einem wirklichen Prozess auf, der im Muster-Ländle anhängig ist. In seinen Sudelbüchern schrieb Georg Chr. Lichtenberg „Wenn man … glaubt man verstehe etwas, das man nicht versteht, so kann man dies nennen affirmative nescire.“
RA FAArbrR Axel Groeger, Bonn
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