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ArbRB-Blog

Orlando

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„Dank des Teleskops ist nichts so weit entfernt, dass wir es nicht sehen könnten, und dank des Mikroskops ist nichts so klein, dass es sich unserer Untersuchung entziehen könnte“ – so soll Robert Hooke, einer der Mitbegründer der ehrwürdigen Royal Society of London for Improving Natural Knowledge 1665 in seinem Werk „Micrographia“ den Triumph des wissenschaftlichen Empirismus beschrieben haben. Virgina Woolf beschreibt in „Orlando“ das Schicksal eines englischen Adligen des 16. Jahrhunderts, der eine Geschlechtsumwandlung erfährt. Und die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 17.12.2015 (8 AZR 421/14, ArbRB News) gibt uns Gelegenheit, uns vor allem rechtswissenschaftlich und ein wenig auch erkenntnistheoretisch mit Fragen des Transgender zu befassen.

Wir lernen erstens, dass der nationale Gesetzgeber die Transsexualität nicht dem Diskriminierungsgrund „Geschlecht“, sondern dem Grund „sexuelle Identität“ zugeordnet hat. Zweitens, dass das Unionsrecht den Begriff der sexuellen Identität nicht kennt, aber in Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2000/78/EG von „sexueller Ausrichtung“ spricht und Transsexualität dem Begriff „Geschlecht“ zuordnet und dass drittens bei unionsrechtskonformer Auslegung des § 1 AGG Transsexualität demnach sowohl vom Grund „Geschlecht“ als auch vom Grund „sexuelle Identität“ umfasst sein kann. Die dogmatisch saubere rechtswissenschaftliche Aufarbeitung zeigt zugleich, dass die humanwissenschaftliche Erforschung der Transsexualität noch nicht abgeschlossen ist.

Wir erfahren viertens, dass das BAG den Vortrag der transsexuellen Klägerin als ausreichend iSv. § 22 AGG angesehen hat. Fünftens wussten wir bereits, dass § 22 AGG nicht nur im Hinblick auf § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG, sondern ebenso im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen von § 7 Abs. 1 Halbs. 2 AGG gilt, also bezogen auf die Frage, ob der Benachteiligende das Vorliegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bei der Benachteiligung nur angenommen hat. An dieser Stelle wird es erneut interessant.

Einerseits kann es eine verbotene Benachteiligung darstellen, wenn jemand das Vorliegen eines Merkmals nach § 1 AGG bei einer Benachteiligung nur annimmt, das objektiv nicht vorliegt. Macht sich der Benachteiligende also Vorstellungen über das Vorliegen eines Benachteiligungsgrundes, kann dies genügen, um den Entschädigungsanspruch auszulösen (BAG 17.12.2009 – 8 AZR 670/08. ArbRB 2010, 107 [Marquardt]).

Andererseits erfasst das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung „wegen“ eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der benachteiligenden Behandlung und einem der dort genannten Gründe muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Dafür ist es zwar nicht erforderlich, dass der betreffende Grund iSv. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; er muss nicht – gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens – handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund iSv. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt. Bei der Prüfung des Kausalzusammenhangs sind alle Umstände des Rechtsstreits im Sinne einer Gesamtbetrachtung und -würdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen.(vgl. etwa BAG 20.1.2016 – 8 AZR 194/14, ArbRB Online).

Für Transsexualität dürfte in einer Hinsicht nichts anderes gelten als für eine Behinderung oder Schwerbehinderung: es handelt sich um ein Bewerbermerkmal, über das nicht jede Bewerberin/jeder Bewerber verfügt. Für eine Behinderung oder Schwerbehinderung hat das BAG entschieden, dass wegen der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme auf die Interessen und Rechte des Vertragspartners (§ 241 Abs. 2 BGB iVm. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB) auch bei einer Bewerbung der Arbeitgeber über die besondere Situation des Bewerbers klar und eindeutig zu informieren ist (vgl. BAG 19.9.2014 – 8 AZR 759/13, ArbRB 2015, 37 [Schewiola]. Die Klägerin hatte ihre Transsexualität erst in der Berufungsinstanz offenbart.

Da Transsexualität, anders als eine Behinderung, als solche kein Merkmal iSv. § 1 AGG ist, sondern mit dem Geschlecht oder der sexuellen Ausrichtung im Zusammenhang stehen kann (siehe zur Schwerbehinderung BAG 20.1.2016 – 8 AZR 194/14, ArbRB Online), lautet ein Kernsatz der Entscheidung des BAG, dass das Landesarbeitsgericht den Parteien Gelegenheit zu weiterem Vorbringen, ggf. auch zu dem äußeren Erscheinungsbild der Klägerin beim Vorstellungsgespräch bei der Beklagten zu geben hat. Die Reaktion des Logistikleiters könnte ja mit einem eindeutig (männlichen) Erscheinungsbild der Klägerin zu erklären sein. Bei nicht so eindeutigem Äußeren – Frage: würde man das für Conchita Wurst bejahen? – stellt sich die Frage, ob der Logistikleiter annehmen konnte und zur Ãœberzeugung des Gerichts feststeht, dass er tatsächlich angenommen hat, es stehe ein Mann vor im – was die Klägerin immerhin (auch) einmal war. Jedenfalls ist für „erkenntnistheoretische Pragmatiker“ klar erkennbar, dass das Landesarbeitsgerichts seine Aufgabe verfehlen würde, wenn es versuchen wollte, eine Objektivität festzustellen, sondern dass es wohl darum gehen muss, eine Perspektivität, und zwar eine fundierte und angemessene Perspektivität auf der Grundlage des Vorbringens beider Parteien, ggf. nach einer Beweisaufnahme, festzustellen.

RA FAArbR Axel Groeger, Bonn
www.redeker.de

 

RA FAArbR Axel Groeger ist Partner bei Redeker Sellner Dahs, Bonn. Er gehört zum festen Autorenteam des Arbeits-Rechtsberaters und ist Herausgeber des Handbuchs Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst.

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