Das BAG hat am 12.7.2016 (9 AZR 352/15) entschieden, dass bei einem Scheinwerkvertrag und einer hierdurch verdeckten Arbeitnehmerüberlassung Rechtsfolge nicht die Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher ist, wenn der Arbeitgeber über eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis nach § 1 AÜG verfügt. Mangels einer planwidrigen Regelungslücke liege die Voraussetzung für eine analoge Anwendung von § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG i.V.m. § 9 Nr. 1 AÜG, wonach das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses ausschließlich bei fehlender Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis des Verleihers fingiert wird, nicht vor. Der Gesetzgeber habe für eine nicht offene Arbeitnehmerüberlassung bewusst nicht die Rechtsfolge der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher angeordnet.
Die Bundesregierung hat am 1.6.2016 beschlossen, dies zu ändern, indem sie den Gesetzentwurf des zuständigen BMAS gebilligt hat. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs sollen künftig bei einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung der vermeintliche Werkunternehmer und sein Auftraggeber auch bei Vorlage einer Verleiherlaubnis nicht besser gestellt werden als derjenige, der unerlaubt Arbeitnehmerüberlassung betreibt. Nach Ansicht des BMAS sei ein Kernproblem, dass Verträge zwischen Unternehmen quasi risikolos als Werkverträge bezeichnet werden könnten, während tatsächlich Leiharbeit praktiziert werde. Die vorgesehenen Regelungen sollen das insbesondere durch die Pflichten zur Offenlegung der Arbeitnehmerüberlassung und die damit verbundene Abschaffung der sog. „Vorratsverleiherlaubnis“ ändern. Damit solle Arbeitgebern, die vermeintliche Werkverträge zur Umgehung arbeitsrechtlicher Schutzstandards einsetzten, die Möglichkeit entzogen werden, ihr Verhalten nachträglich als Leiharbeit „umzudeklarieren“ und damit zu legalisieren. Erreicht werden soll dies dadurch, dass nach § 1 Abs. 1 Satz 5 und 6 AÃœG (n.F.) Verleiher und Entleiher die Ãœberlassung von Leiharbeitnehmern in ihrem Vertrag ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen haben, bevor sie den Leiharbeitnehmer überlassen oder tätig werden lassen, und sie vor der Ãœberlassung die Person des Leiharbeitnehmers unter Bezugnahme auf diesen Vertrag zu konkretisieren haben. Ein Verstoß hiergegen soll nach § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÃœG (n.F.) grundsätzlich zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher führen.
Wer ist Arbeitnehmer und wer bestimmt darüber, wer Arbeitnehmer ist? In einem Rechtsstaat bestimmt das Recht, wobei in einem freiheitlichen Rechtsstaat die Rechtsunterworfenen in ihrer Freiheit bei der Gestaltung ihrer Rechtsbeziehungen nur solchen Beschränkungen unterworfen werden sollten, die aus Gründen des Gemeinwohls erforderlich sind. Das geltende Recht sieht eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten für die Erbringung von Dienst- und Arbeitsleistungen vor. Bislang fehlt eine gesetzliche Definition des Arbeitnehmers und wurde die Klärung dieses Schlüsselbegriffs der Rechtsprechung überlassen. Auch dies soll sich nach dem Willen der Bundesregierung ändern. Nach § 611a BGB (n.F.) soll Arbeitnehmer sein, „wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann; der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.“
Nach Art. 3 Abs. 1 Buchstabe a) der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104 ist Arbeitnehmer „eine Person, die in dem betreffenden Mitgliedstaat nach dem nationalen Arbeitsrecht als Arbeitnehmer geschützt ist“. Und Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2008/104 bestimmt, dass die Richtlinie das nationale Recht in Bezug auf die Begriffsbestimmungen von ‚Arbeitsvertrag‘, ‚Beschäftigungsverhältnis‘ und ‚Arbeitnehmer‘ unberührt lässt. Der Generalanwalt Henrik Saugmandsgaard Oe vertritt in seinen Schlussanträgen vom 6.7.2016 in der Rechtssache C-216/15 (http://curia.europa.eu) die Ansicht, dass ein Mitgliedstaat nicht befugt sei, eine innerstaatliche Regelung in einer Weise anzuwenden, die dazu führen würde, dass die Verwirklichung der Ziele der Richtlinie 2008/104 gefährdet und diese mithin ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt würde. Insbesondere dürfe die im innerstaatlichen Recht vorgesehene Definition des Begriffs „Arbeitnehmer“ nicht dazu führen, dass bestimmte Kategorien von Berufstätigen ohne objektiven Grund von diesem Begriff und damit von dem daran geknüpften, durch die Richtlinie 2008/104 gewährten Schutz ausgenommen würden. Um Ausnahmen als nicht willkürlich betrachten zu können, wäre zu prüfen, ob und inwieweit das betreffende Rechtsverhältnis seinem Wesen nach „erheblich anders ist als dasjenige, das Beschäftigte, die nach dem nationalen Recht zur Kategorie der Arbeitnehmer gehören, mit ihren Arbeitgebern verbindet“.
Bis zur Weihnachtsfeier werden wir wohl wissen, ob nur das Sein unser juristisches Bewusstsein prägt oder ob es sich auch vom Schein beeinflussen lässt.
RA FAArbR Axel Groeger, Bonn
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