Im November 2011 verabschiedete die Bundesregierung in ihrem Aktionsplan zur Hightech-Strategie 2020 das Zukunftsprojekt Industrie 4.0. Das BMAS eröffnete die arbeitsrechtliche Diskussion dazu im April 2015 mit dem Grünbuch Arbeiten 4.0 unter dem viel versprechenden Arbeitstitel „Arbeit Weiter Denken“. Das suggerierte eine Öffnung für grundsätzliche Diskussionen angesichts der bevorstehenden digitalen Revolution der Arbeitswelt. Endlich eine echte Chance für ein modernes Arbeitsrecht jenseits lagerpolitischer Diskussionen mit 70iger Jahre Charme.
Mit der Vorlage des Weißbuches Arbeiten 4.0 ist bei allen, die sich ähnlichen Illusionen hingaben, Ernüchterung eingetreten. Jenseits wolkiger Phrasen über Leitbilder, Gestaltungsbedarfe, „fair“ ausgehandelte Kompromisse und Pluralität von Lebensentwürfen, finden sich altbekannte Forderungen anstelle notwendiger Innovationen: Wahlarbeitszeit für mehr Flexibilität der Arbeitnehmer, Leitbild der flächendeckenden Tarifbindung, Ziel eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags für das Sozialwesen (gemeint sind der Dienstleistungs- und Care-Sektor), mehr Arbeitsschutz, mehr Datenschutz, mehr Betriebsräte, Effektivierung ihrer Mitbestimmungsrechte…. Diese Forderungen sind auf erstaunliche Weise nun via „Dialogprozess“ zu den Antworten geworden, wie den Herausforderungen der neuen digitalen Arbeitswelt zu begegnen ist. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Das Beharrungsvermögen des deutschen Arbeitsrechts trotzt eben jeder – auch der digitalen – Revolution. Hätten wir für diese Erkenntnis einen großangelegten „Dialogprozess“ gebraucht mit Konferenzen und Workshops? Nein, alle diese „Antworten“ lagen schon längst – wenn auch als rechtspolitische Forderungen interessierter Kreise – auf dem Tisch. Nun haben sie gute Aussichten Realität zu werden und werden vermutlich eher nicht dazu beitragen, der deutschen Wirtschaft den Wandel in die 4.0-Zeit zu erleichtern. Denn dieses Arbeitsrecht ist gerade nicht vorbereitet auf schnelles vernetztes Reagieren in einer digitalen Welt – weder im Sinn der Unternehmen noch im Sinn einer echten wirkungsvollen Beteiligung der Arbeitnehmer. Es hält fest an einem herkömmlichen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff, den man nach Möglichkeit auf alle „Werktätigen“ ausdehnt und an einem auf den herkömmlichen „Betrieb“ fixierten Mitbestimmungs- und Verwaltungskonzept, während Unternehmen längst begonnen haben, in globalen Netzwerken zu agieren, die sich eben jenen klassischen Führungs-, Verwaltungs- und Regulierungskonzepten immer mehr entziehen. Statt kluge Deregulierung mit der Entwicklung mutiger Konzepte für eine wirksame rechtliche Einbindung digitaler Netzwerkstrukturen zu verbinden, zieht die deutsche Karawane unbeirrt weiter. Hightech-Strategie 2020 hat man sich anders vorgestellt.
RAin FAin Arbeitsrecht Dr. Susanne Clemenz, T/S/C Fachanwälte für Arbeitsrecht, Gütersloh
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Hinweis der Redaktion: Die Blog-Autorin leitet zusammen mit Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Preis, Universität zu Köln, die diesjährigen Kölner Tage Arbeitsrecht. Die am 27. und 28.4.2017 stattfindende Tagung wird sich schwerpunktmäßig mit dem Arbeitsrecht im Zeitalter von Industrie und Arbeitsrecht 4.0 befassen. Weitere Informationen und eine Anmeldemöglichkeit finden Sie hier.