Bislang vertrat das BAG die Auffassung, dass der Arbeitnehmer an eine Weisung des Arbeitgebers, sofern sie nicht aus sonstigen Gründen unwirksam ist, vorläufig gebunden ist, bis durch rechtskräftiges Urteil die Unverbindlichkeit der Leistungsbestimmung festgestellt wurde (BAG, Urt. vom 22. Februar 2012, 5 AZR 249/11 – Rn. 24, BAGE 141, 34 = ArbRB 2012, 264 [Suberg]). Dies könnte sich in Zukunft nun ändern. Wie der Pressemitteilung des BAG Nr. 25/17 zu entnehmen ist, möchte der Zehnte Senat nun die Auffassung vertreten, dass Arbeitnehmer unbilligen Weisungen des Arbeitgebers auch dann nicht Folge leisten müssen, wenn eine rechtskräftige arbeitsgerichtliche Entscheidung noch nicht vorliegt. Der Zehnte Senat fragt daher nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG an, ob der Fünfte Senat erklärt, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält.
Im streitgegenständlichen Verfahren wollte der Kläger festgestellt wissen, dass er nicht verpflichtet war, einer Weisung seines Arbeitgebers Folge zu leisten. Der Kläger ist seit dem Jahr 2001 bei der Beklagten als Immobilienkaufmann am Standort Dortmund beschäftigt. 2013/2014 erging ein kündigungsrechtliches Urteil zugunsten des Klägers. Im März 2014 weigerten sich Mitarbeiter des Klägers weiter mit diesem zusammenzuarbeiten. Hieraufhin teilte ihm die Beklagte schriftlich mit, dass sie ihn für den Zeitraum von 16. März bis 30. September 2015 in Berlin einsetzen wolle, da eine Beschäftigungsmöglichkeit in Dortmund außerhalb des dort verorteten Teams nicht möglich sei. Der Kläger nahm seine Arbeit in Berlin nicht auf und wurde daraufhin von der Beklagten mit Schreiben vom 26. März 2015 sowie einem weiteren Schreiben im April abgemahnt. Letztlich kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28. Mai 2015 fristlos.
Neben der Feststellung, dass er nicht verpflichtet war, der Weisung, in Berlin die Arbeit aufzunehmen, Folge zu leisten, begehrt der Kläger die Entfernung der Abmahnungen aus seiner Personalakte. In einem Parallelverfahren (2 AZR 329/16) wendet sich der Kläger überdies gegen die Wirksamkeit der Kündigung. Arbeits- und Landesarbeitsgericht gaben der Klage statt.
Nun steht und fällt die bisherige Rechtsprechung zunächst mit der Stellungnahme des Fünften Senats. Weicht dieser kraft Beschlusses von seiner Auffassung ab, kann der Zehnte Senat ohne Anrufung des Großen Senats von der bisherigen Rechtsprechung entscheiden. Hält der Fünfte Senat jedoch an seiner Ansicht fest, hat der Große Senat kraft Beschlusses zu entscheiden, wie die Rechtsfrage künftig zu behandeln sein wird. Mit einer Entscheidung wird dann erst in einigen Monaten zu rechnen sein.
Fällt die bisherige Rechtsprechung des BAG, bedeutet dies einen deutlichen Rechtssicherheitsverlust für die Weisungsposition des Arbeitgebers. Künftig müsste dieser beweisen, dass seine Weisung billigerweise erfolgt. Es fände damit eine Umschichtung der Beweislast zugunsten der Arbeitnehmer statt. Es wäre das Ende der durch Teile der Literatur kritisierten „Verteidigungslast des Bestimmungsunterworfenen“ (so Kolbe, in: Dornbusch/Fischermeier/Löwisch, AR, 8. Auflage, Köln 2016, § 106 GewO, Rn. 63).
Einen Fingerzeig weisen hierbei auch die Vorinstanzen, welche der Ansicht waren, dass der Kläger nicht verpflichtet war, seine Arbeit in Berlin aufzunehmen. Das LAG Hamm (Urteil vom 17. März 2016,
) begründete seine gegen die Rechtsprechung des Fünften Senats gerichtete Auffassung damit, dass eine Bindung an unbillige Weisungen dem Wortlaut der § 106 GewO bzw. § 315 Abs. 3 S. 1 BGB widerspreche, welche explizit die Billigkeit der Leistungsbestimmung voraussetzten. Eine unbillige Weisung sei „nicht einem Verwaltungsakt vergleichbar, der zunächst Bestandskraft hat, bis er angegriffen wird“. Ferner führe, so das LAG wörtlich „die Rechtsprechung (…) zu nicht hinnehmbaren Konsequenzen für den Arbeitnehmer und zu einer untragbaren Risikoverlagerung. Wird die vorläufige Verbindlichkeit bejaht, würde in letzter Konsequenz ein Urteil erst im Nachhinein die Verbindlichkeit aufheben. Damit liegt eine abmahnfähige Pflichtverletzung vor, wenn der Arbeitnehmer den Weisungen des Arbeitgebers nicht nachkommt. Arbeitnehmer, die unbillige Weisungen des Arbeitgebers nicht beachten, laufen mithin Gefahr, wegen Arbeitsverweigerung gekündigt zu werden. Überdies gerät der Arbeitnehmer in Schuldner- und nicht der Arbeitgeber in Annahmeverzug mit der Folge, dass dem Arbeitnehmer keine Vergütungsansprüche zustehen, obwohl die Arbeitgeberweisung in Widerspruch zu den gesetzlichen Bestimmungen steht, die die Billigkeit voraussetze“.Die Ansicht des LAG, welcher sich nun auch der Zehnte Senat des BAG anzuschließen scheint, überzeugt. Sie entspricht letzten Endes auch dem Kräfteverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Das letzte Wort wird jedoch aller Voraussicht nach der Große Senat des BAG sprechen. Bis dahin sei Arbeitnehmern zur Vermeidung arbeitgeberseitiger Sanktionen empfohlen, auch unbilligen Weisungen Folge zu leisten. Arbeitgeber sollten sich präventiv bereits jetzt darauf einstellen, ihre Weisungen vor Ausspruch auf Billigkeit zu überprüfen, um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden bzw. in ihrem Falle den Dokumentationsaufwand zu minimieren.
Andreas Schubert, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle für Hochschularbeitsrecht, Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Löwisch, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg