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Hemmung von Ausschlussfristen durch Mediation – Zur Tragweite des Urteils des BAG vom 20.06.2018

avatar  Dr. Jürgen Klowait
Interim-Manager, Rechtsanwalt & Mediator

Worum geht es?
Nach § 203 Satz 1 BGB ist die Verjährung von Ansprüchen gehemmt, wenn zwischen dem Schuldner und Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände schweben, und zwar so lange, bis der eine oder andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Die Verjährung tritt in diesem Fall gem. § 203 S. 2 BGB frühestens drei Monate nach dem Ende der Hemmung ein.

Unstreitig kommt der Durchführung einer Mediation eine solche verjährungshemmende Wirkung zu. Wer hierzu allerdings eine explizite Aussage des Gesetzgebers im MediationsG sucht, sucht vergeblich. Warum eigentlich? Bestimmt doch die Europäische Mediationsrichtlinie (ABl. L 136 v. 24.05.2008, „Med-RiLi“), deren Umsetzung in bundesdeutsches Recht das MediationsG bezweckt, in ihrem Art. 8, dass „… die Parteien, die eine Streitigkeit im Wege der Mediation beizulegen versucht haben, im Anschluss daran nicht durch das Ablaufen der Verjährungsfristen während des Mediationsverfahrens daran gehindert sind, ein Gerichts- oder Schiedsverfahren hinsichtlich derselben Streitigkeit einzuleiten“.  Die Antwort des deutschen Gesetzgebers ist so kurz wie erschöpfend: Eine spezielle Regelung im MediationsG wurde nicht für erforderlich gehalten, da die Mediation als Verhandlung im Sinne von § 203 BGB gelte und der nach dem Med-RiLi zu regelnde Sachverhalt damit bereits geregelt sei (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs zum MediationsG, BT-Drs. 17/5335, 11).

So klar dieser Befund ausfällt, ist auf der anderen Seite eine Regelungslücke bezüglich der – durch § 203 BGB nicht erfassten – Ausschlussfristen zu konstatieren. Ob und inwieweit deren Lauf durch geführte Verhandlungen gehemmt ist, ist gesetzlich nicht geregelt. Während Verjährungsfristen nach § 214 Abs. 1 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners begründen, das nach Erhebung einer entsprechenden Einrede zu beachten ist, führt der Ablauf von Ausschlussfristen zum Erlöschen des Anspruchs und ist von Amts wegen zu beachten. Ausschlussfristen sind vielfach gesetzlich geregelt, wie etwa in § 4 KSchG (dreiwöchige Klagefrist des Arbeitnehmers ab Zugang der schriftlichen Kündigung), können daneben aber auch vertraglich begründet werden.

Die Rechtsprechung hat sich verschiedentlich – bislang allerdings ohne Herausbildung einer klaren Linie – mit der Frage befasst, ob Vorschriften des Verjährungsrechts auf vertragliche Ausschlussfristen entsprechend angewendet werden können. Eine entsprechende Anwendung wurde seitens des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Kontext von tariflichen Ausschlussfristen teils bejaht (BAG 24. Mai 1973 – 5 AZR 21/73 sowie BAG 8. März 1976 – 5 AZR 361/75), zum Teil aber auch skeptisch gesehen und allenfalls dann für möglich gehalten, wenn der Tarifvertrag ausdrücklich eine gerichtliche Geltendmachung vorsehe und damit auf den gesetzlichen Sprachgebrauch des Verjährungsrechts Bezug nehme (BAG 16. Januar 2003 – 2 AZR 735/00). Der Bundesgerichtshof (BGH) hält die entsprechende Heranziehung einzelner für die Verjährung geltender Bestimmungen auf Ausschlussfristen nicht für schlechthin ausgeschlossen; es sei aber von Fall zu Fall nach Sinn und Zweck der jeweiligen Bestimmung zu entscheiden, inwieweit Verjährungsvorschriften auf Ausschlussfristen anzuwenden sind (BGH 9. April 2008 – VIII ZR 84/07 – Rn. 21; 9. Juli 1990 – II ZR 69/89 – zu 2 der Gründe mwN, BGHZ 112, 95). Speziell für die Mediation zieht die herrschende Literaturmeinung aus dem Fehlen einer gesetzlichen Regelung den Schluss, dass deren Durchführung den Lauf von Ausschlussfristen nicht hemmt (vgl. Greger/Unberath/Steffek/Greger, MediationsG, § 1, Rn 192; Klowait/Gläßer, HK-MediationsG/Hagel, 2. Aufl. 2018, Teil 2, III, § 203 BGB, Rn 24).

Was hat das BAG entschieden?
Der fünfte Senat des BAG hat sich in seinem Urteil vom 20. Juni 2018 (5 AZR 262/17) nun erstmals mit der Frage befasst, ob außergerichtliche Vergleichsverhandlungen den Lauf einer arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfrist hemmen. Im Kern ging es um eine Regelung im Arbeitsvertrag des klagenden Arbeitnehmers, nach welcher Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten ab Fälligkeit schriftlich gegenüber der Gegenseite geltend gemacht werden. Im Zusammenhang mit Forderungen aus der Abgeltung von Urlaubsansprüchen und geleisteten Überstunden führten die Parteien über die von ihnen beauftragten Rechtsanwälte vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen. Nach deren Scheitern wurde im anschließenden arbeitsgerichtlichen Verfahren unter anderem streitig, ob der Klage die – im Zeitpunkt ihrer Erhebung verstrichene – vertragliche Ausschlussfrist entgegensteht.
Im Ergebnis stellt das BAG fest, dass § 203 Satz 1 BGB auf eine einzelvertragliche Ausschlussfrist, die zur Vermeidung des Verfalls eines Anspruchs seine gerichtliche Geltendmachung verlangt, entsprechend anwendbar ist mit der Folge, dass ihr Lauf für die Dauer von Vergleichsverhandlungen über den streitigen Anspruch gehemmt ist (BAG, 20. Juni 2018  – 5 AZR 262/17 – Rn 23). § 203 Satz 2 BGB, der bestimmt, dass die Verjährung frühestens drei Monate nach dem Ende der Hemmung eintritt, wurde dagegen explizit nicht für entsprechend anwendbar erklärt. Stattdessen hat das BAG entschieden, dass dem Kläger nach Ende der Hemmung wegen vorgerichtlicher Vergleichsverhandlungen für die Einreichung der Klage nur die Differenz zwischen der Länge der Verfallfrist und der vor Aufnahme der Verhandlungen verstrichenen Zeit zur Verfügung steht.

Dem Urteil ist aus Mediationssicht besondere Bedeutung beizumessen, weil es keinen wertungsrelevanten Unterschied macht, ob die Parteien – wie im vorliegenden Fall – bilateral verhandeln oder eine einvernehmliche Regelung im Wege einer Mediation anstreben. Für die Grundfrage, ob vertragliche Ausschlussfristen unter Heranziehung gesetzlicher Vorgaben zur Verjährung gehemmt sind, kommt es nicht auf die spezifische Ausgestaltung der Verhandlungen an, sondern alleine darauf, dass Verhandlungen I.S.v. § 203 BGB geführt worden sind. Dies ist unstreitig auch bei der Mediation gegeben.

Was sind die Konsequenzen?
Klar ist nach dem Urteil des BAG zunächst, dass auch der Durchführung einer Mediation hemmende Wirkung in entsprechender Anwendung von § 203 S.1 BGB zukommt, wenn einem arbeitsrechtlichen Rechtsstreit eine einzelvertragliche Ausschlussfrist zugrunde liegt, die zur Vermeidung des Verfalls eines Anspruchs seine gerichtliche Geltendmachung verlangt.

Die Frage, ob und inwieweit außergerichtlichen Verhandlungen – unter Einschluss der Mediation – darüber hinausgehend hemmende Wirkung auf Ausschlussfristen beizumessen ist, etwa im Kontext von tariflichen Ausschlussfristen oder gar generell bei allen – auch gesetzlich angeordneten – Ausschlussfristen, ist mit dem Urteil des BAG dagegen nicht entschieden. Zu beiden Sachverhalten verhält sich das BAG in seinem Urteil nicht explizit. Allerdings lassen sich den Entscheidungsgründen des Urteils Hinweise und Argumentationslinien entnehmen, die zur Beantwortung der Frage herangezogen werden können, ob und inwieweit § 123 S. 1 BGB zukünftig auch für individualvertraglich vereinbarte Ausschlussfristen außerhalb des Arbeitsrechts entsprechend herangezogen werden kann. Wie kommt also das BAG zu seiner Entscheidung und was folgt daraus für diese Konstellationen?

Im Kern stützt sich das BAG in seinem Urteil auf die bisherigen Rechtsprechungslinien arbeits- und zivilrechtlicher Art. Im Anschluss an Ausführungen zu den unterschiedlichen Rechtswirkungen, die einerseits (rechtsvernichtenden) Ausschlussfristen und andererseits (die Rechtsdurchsetzung hindernden) Verjährungsfristen beizumessen sind, arbeitet das BAG die Gemeinsamkeiten zwischen Ausschlussfristen und Verjährungsfristen heraus. Diese werden darin gesehen, dass der Anspruchsinhaber in beiden Fällen seinen Anspruch gegen den Willen des Anspruchsgegners nur innerhalb bestimmter Fristen verwirklichen kann. Zudem gehe es hier wie dort darum, das dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit dienende Klarstellungsinteresse des Schuldners mit dem Anliegen des Vertragspartners in Übereinstimmung zu bringen, vor Beschreiten des Rechtswegs die Sach- und Rechtslage abschließend prüfen zu können und nicht zu einer voreiligen Klageerhebung gezwungen zu sein. Trotz dieser Gemeinsamkeiten geht das BAG allerdings nicht soweit, alleine hieraus die grundsätzliche Anwendung der Verjährungsvorschriften auf arbeitsvertragliche Ausschlussfristen zu folgern. Gefordert wird vielmehr das Vorliegen eines weiteren Umstandes. Erst dann, wenn eine einzelvertragliche Verfallklausel mit dem Erfordernis einer gerichtlichen Geltendmachung zusätzlich auf einen vom Verjährungsrecht zur Hemmung der Verjährung zur Verfügung gestellten Tatbestand (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) Bezug nimmt, sieht das BAG die Ähnlichkeit von Funktion und faktischer Wirkung als stark genug an, um Verjährungsvorschriften auf die Ausschlussfrist entsprechend anzuwenden.

Damit aber nicht genug: Als weiteres Korrektiv macht sich das BAG die vom BGH entwickelte Prämisse zu eigen, wonach eine solche Gleichsetzung nur dann zulässig ist, wenn der Zweck der entsprechend herangezogenen Verjährungsfrist dem Wesen der Ausschlussfrist nicht widerspricht. Einen solchen Widerspruch sieht das BAG mit Blick auf § 203 S.1 BGB vorliegend nicht, da

  • § 203 S. 1 BGB den rechtspolitisch gewünschten Zweck verfolge, den Parteien ohne den Druck einer ablaufenden Verjährungsfrist Zeit zu geben, eine einvernehmliche Regelung zu erzielen und damit Prozesse zu vermeiden,
  • den Parteien auch im Falle einer vertraglichen Ausschlussfrist die Möglichkeit offen stehe, noch eine vorgerichtliche vergleichsweise Einigung zu erzielen, um einen beide Seiten belastenden Arbeitsgerichtsprozess zu vermeiden,
  • eine vertragliche Ausschlussfrist der Disposition des Schuldners (der einseitig auf ihre Einhaltung verzichten kann) bzw. der Parteien unterliege (die einvernehmlich ihre Verlängerung vereinbaren können) und schließlich
  • die Hemmung der Ausschlussfrist bei schwebenden Vergleichsverhandlungen nicht zu deren einseitiger Verlängerung und einer damit einhergehenden Benachteiligung des begünstigten Schuldners führe, da dieser es in der Hand hat, ob er sich überhaupt und ggf. wie lange auf vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen einlassen will.

Gerade die seitens des BAG durchdeklinierten Sinn- und Zweckvoraussetzungen belegen, dass nichts gegen deren Übertragung auch auf Sachverhalte außerhalb des Arbeitsrechts spricht. Insbesondere steht der Umgang mit der frei vereinbarten Ausschlussfrist auch hier zur Disposition der Parteien und es ist ebenso wenig wie im Arbeitsrecht zu befürchten, dass der Begünstigte der Ausschlussfrist gegen seinen Willen Nachteile erleidet. Zukünftig wird sich somit auch derjenige auf eine Hemmung der Ausschlussfrist in entsprechender Anwendung von § 203 S. 1 BGB berufen können, der etwa auf Basis einer zivilrechtlich vereinbarten Ausschlussfrist vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen mit seinem Vertragspartner geführt hat. Speziell für durchgeführte Mediationen fällt dabei der zugrundeliegende rechtpolitische Zweck in besonderem Maße ins Gewicht. Denn die allgemeine Zwecksetzung des § 203 BGB, den Parteien ohne Zeitdruck die Möglichkeit einer außergerichtlich erzielten, einvernehmlichen Einigung einzuräumen, wird im Fall der Mediation ergänzt und verstärkt durch die spezifisch erklärte Zielsetzung sowohl der MedRiLi als auch des MediationsG, die außergerichtliche Konfliktbeilegung zu fördern. Wäre dem vom BAG entschiedenen Fall die Durchführung einer Mediation vorausgegangen, so hätte dieses rechtspolitische Ziel sowohl der europäischen als auch der bundesdeutschen Legislative in eine sachgerechte Abwägung und Wertung einbezogen werden müssen. Nach hier vertretener Ansicht wiegt dieses Anliegen des Mediationsgesetzgebers so schwer, dass bei einzelvertraglich vereinbarten Ausschlussfristen die entsprechende Anwendung von § 203 S.1 BGB im Fall durchgeführter Mediationen generell angezeigt ist – also unabhängig davon, ob die Ausschlussklausel auf die anschließende gerichtliche Geltendmachung abstellt oder nicht. Das BAG stellt auf dieses zusätzliche Merkmal auch nur ergänzend ab, um zu begründen, dass jedenfalls bei dessen Vorliegen die für notwendig erachtete Funktions- und Wirkungsgleichheit gegeben ist. Eines solchen Hilfsargumentes bedarf es bei vorgerichtlichen Mediationen nicht, da der rechtspolitische Zweck der Mediation schwer genug wiegt, um die Schwelle zu der geforderten Funktions- und Wirkungsgleichheit als überschritten anzusehen.

Zusammenfassend: Das besprochene BAG-Urteil wirkt über den entschiedenen Fall hinaus. Auch bei einzelvertraglich vereinbarten Ausschlussfristen außerhalb des Arbeitsrechts führen die vom BAG entwickelten Grundsätze zu einer entsprechenden Anwendung der hemmenden Wirkung des § 203 S. 1 BGB. Jedenfalls dann, wenn es sich bei der durchgeführten Verhandlung um eine Mediation handelt, gilt dies bei sachgerechter Würdigung des rechtspolitischen Zweckes der Mediation auch dann, wenn die zugrundeliegende Ausschlussklausel nicht explizit auf eine anschließende gerichtliche Geltendmachung abstellt.

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