- Der 1967 geborene Kläger war bei der Beklagten zu einem monatlichen Gehalt von 6.600 Euro beschäftigt. Der Geschäftsführer der Beklagten stammt aus Kasachstan. Bei der Beklagten existiert eine IT- Sicherheitsrichtlinie, in der es u.a. heißt „…Betriebliche Gründe können erfordern, dass die persönliche E-Mail-Box durch Anordnung eines Vorgesetzten eingesehen werden muss. Von dieser Einsicht kann ein persönlicher Ordner ausgeschlossen werden, der deutlich als privat zu kennzeichnen ist. Es wird empfohlen, private E-Mails nach dem Lesen direkt zu löschen. …“
Am 22. Februar 2016 sandte der Kläger von seinem dienstlichen PC aus eine E-Mail, in der es auszugsweise heißt: „… Letztes Jahr hatte ich beim alten Arbeitgeber gekündigt. Haben neuen GF Idiot bekommen. Was für eine Flasche. Hab ich die Reißleine gezogen. Dann hat man mich bequatscht und den neuen GF in der Probezeit wieder nach Hause geschickt. Bin ich da geblieben. Jetzt Russen Arschloch bekommen. Die Scheiße geht geradeso weiter. Hatten mir versprochen, wird „Fachmann“ sein, wenn wieder einer kommt … Man es tummeln sich so viele Flaschen und die bekommen immer wieder ein Job…“ Am 17. Mai 2016 schrieb er an Herrn B eine E-Mail, in der es u.a. wie folgt heißt: „…Haben schon wieder neuen Vorturner (GF) bekommen. Was für eine Flasche. Russen Ei!!!!. Aktuell such ich was NEUES…“. Am 3. November 2016 schrieb er an C – hierbei handelt es sich um den ehemaligen Vorgesetzten des Klägers – eine E-Mail mit auszugsweise folgenden Inhalt: „…Der andere Russen/China Rohrkrepierer soll jetzt mal Bluestar angehen bezüglich Plattform, welche Spezialitäten, Menge nach Europa, PBT exclusiv über uns. Leck mich doch am Arsch…“ In einer E-Mail vom 21. Februar 2017 äußerte der Kläger an Frau D u.a.: „…Mich vorher aber aufheizen – ich kann Dir sagen – Kolchose Bude“. In einer E-Mail vom 28. Februar 2017 an Frau E äußerte der Kläger u.a.: „Hallo Frau E, werde wohl heute in den Sack hauen… Hier gibt’s nur noch Borschtsch …“. In einer E-Mail vom 6. März 2017 an die Adresse xxxx äußerte der Kläger unter anderem: „Servus F, es ist geschafft. Russen Idiot ist Geschichte. Hab am 28.02.2017 also letzte Woche zum 31.05.2017 gekündigt. …Jetzt lassen wir es schön ausklingen. Reiß mir kein Bein mehr aus. Öfter mal den Doc besuchen…“.
Nach Ansicht des Hessischen LAG (Urt. v. 21.9.2018 – 10 Sa 601/18) ist jedenfalls die Äußerung „Russen Arschloch“ in der E-Mail vom 22. Februar 2016 als erhebliche Schmähkritik zu bewerten. Auch bei der Äußerung „Flasche“ bzw. „RussenEi!!!!“ in der E-Mail vom 17. Mai 2016 handele es sich um eine despektierliche Äußerung und erhebliche Herabsetzung eines Vorgesetzten. Auf der gleichen Linie liege die Bezeichnung „Russen Idiot“. Der Inhalt der E-Mails durfte im Prozess allerdings nicht verwertet werden. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 14.3.2017 war damit unwirksam. Zum Anlass der Ermittlung hatte die Beklagte vorgetragen, dass sie durch Kunden darauf aufmerksam gemacht worden sei, dass der Kläger sich in geschäftsschädigender Weise gegenüber Kunden über die Beklagte geäußert habe. Dies sei als unsubstantiiert anzusehen. Es bleibe dabei im Dunkeln, wer wann welche Äußerungen oder Vermutungen in den Raum gestellt habe. Selbst wenn man den Sachvortrag als richtig unterstellte, würde er nicht auf eine Straftat schließen lassen. Es hätten auch keine Anhaltspunkte für eine einer Straftat vergleichbar schwerwiegenden Pflichtverletzung des Klägers vorgelegen. Der Arbeitgeber dürfe keine umfangreichen Ermittlungen innerhalb der Privatsphäre des Arbeitnehmers vornehmen, nur um auf „negative Kritik an dem Unternehmen“ zu reagieren. Es sei bei der Auswertung des E-Mail Accounts nicht um konkrete Verdachtsmomente im Hinblick auf z.B. Beleidigungen, Unterschlagungen oder Wettbewerbshandlungen, die berechtigterweise eine interne Ermittlung gerechtfertigt hätten, gegangen. Dass die Ehre einer bestimmten Einzelperson, etwa des Geschäftsführers, in Frage gestanden oder dass gar Anlass für weitere Maßnahmen des Arbeitgebers nach § 12 AGG bestanden hätte, sei nicht ersichtlich. Ähnlich wie bei Gesprächen unter Kollegen sei es üblich, dass nicht jedes Wort „auf die Goldwaage“ gelegt bzw. besonders überlegt werde, wenn man sich per E-Mail äußere. Dadurch bestehe typischerweise ein erhöhtes Risiko, dass sich Arbeitnehmer kritisch, ironisch, despektierlich oder auch sogar beleidigend äußerten. Daraus resultiere allgemein eine große Schutzbedürftigkeit von Äußerungen in privaten E-Mails. Die Beklagte könne sich nach Ansicht der Kammer nicht auf die Entscheidung des EGMR „Libert/France“ stützen (EGMR 22. Februar 2018 – App. no. 588/13 – ZD 2018, 263). Denn dort habe der Sachverhalt so gelegen, dass die Mitarbeiter angehalten gewesen seien, die privaten Inhalte in einen als „privat“ gekennzeichneten Ordner abzuspeichern. Im vorliegenden Fall sei dies indes nicht als klare Verhaltensaufforderung niedergelegt, sondern als zusätzliche Option. Außerdem hätte der Mitarbeiter im Fall des EGMR einen privaten Ordner „zum Lachen“ angelegt; im vorliegenden Fall habe der Kläger gar keinen privaten Ordner angelegt. Dass daraus der Schluss zu ziehen sei, dass sämtliche E-Mails dienstlicher Natur seien, lasse sich daraus sicher nicht schließen. Durch die Regelung in der IT-Sicherheitsrichtlinie versuche die Beklagte, das Risiko datenschutzwidrigen Verhaltens auf ihre Arbeitnehmer abzuwälzen; diese sollten und müssten darüber entscheiden, welche E-Mail privaten Charakter habe und wie diese archiviert werde. Damit gehe ein erhebliches Fehlerrisiko auf die Arbeitnehmer über. Auch begegne es Bedenken, einen Ordner mit „privater E-Mail-Korrespondenz“ anzulegen. Würden die Arbeitnehmer dem Folge leisten, müssten sie u.U. mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen, wenn sich in dem als privat gekennzeichneten Ordner eine große Anzahl von E-Mails befinde. Dies könnte der Arbeitgeber u.U. bereits zum Anlass nehmen, Abmahnungen o.Ä. auszusprechen, ohne dass es auf den konkreten Inhalt ankäme.
Dass das BAG voraussichtlich schon am 28.3.2019 über die Revision des Arbeitgebers verhandeln wird, ist sicher kein Fingerzeig, der Hinweis darauf erscheint jedoch sinnvoller, als um eigene Worte zu ringen und diese dann „auf die Goldwaage“ zu legen.
RA FAArbR Axel Groeger, Bonn
www.redeker.de
Vorturner, RussenEi, Borschtsch und A… in E-Mails – Vortragsverwertungsverbot im Prozess
Axel Groeger 12.2.2019 – 20:42 |
RA FAArbR Axel Groeger ist Partner bei Redeker Sellner Dahs, Bonn. Er gehört zum festen Autorenteam des Arbeits-Rechtsberaters und ist Herausgeber des Handbuchs Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst.