Das Arbeitsrecht ist stark in Bewegung. Dafür sorgen nicht nur die Gerichte und der Gesetzgeber, aktuell z.B. mit der neuen Urlaubsrechtsprechung des EuGH, der „Brückenteilzeit“ und den geplanten Änderungen bei der sachgrundlosen Befristung. Auch die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt stellt die Praxis vor neue Herausforderungen. Die Kölner Tage Arbeitsrecht am 16. und 17.5.2019 versuchen, das komplette Spektrum abzudecken. Über die Kölner Tage und das Zukunftsthema „Digitalisierung“ habe ich mit einem der Tagungsleiter, Prof. Dr. Martin Henssler[1] gesprochen.
Rülfing: Lieber Herr Professor Henssler, in gut fünf Wochen werden Sie zusammen mit dem BAG-Richter Dr. Sebastian Roloff durch die Kölner Tage Arbeitsrecht führen, die Sie beide zusammen konzipiert haben. Auf welchen Vortrag sind Sie besonders gespannt?
Henssler: Also wir haben ein derart exzellentes Referententeam und zugleich unglaublich spannende und hoch aktuelle Themen, dass man diese Frage nur dahin beantworten kann: Jeder Vortrag wird ein Highlight sein.
Wir werden Einblicke in neueste Gesetzesänderungen, in die aktuelle Rechtsprechung auf nationaler und europäischer Ebene, zu Brennpunktthemen und Antworten auf die arbeitsrechtlichen Herausforderungen von morgen bekommen. Ich freue mich besonders auf die Mischung dieser spannenden Themen.
Rülfing: Sehr gut gemischt ist ja auch das Referententeam. Es besteht aus genauso vielen Richtern (vom BAG und EGMR) wie Anwälten (jeweils vier) und zwei Hochschullehrern. Hat sich das zufällig so ergeben?
Henssler: Nein, es ist im Gegenteil sogar ein ganz wichtiges gemeinsames Anliegen von Verlag und Tagungsleitung den Sachverstand aller juristischen Berufe einzubinden. Wir haben damit nicht nur bei Veranstaltungen, sondern auch bei Veröffentlichungen beste Erfahrungen gemacht. Auch beim HWK etwa hat es sich sehr bewährt, auf eine gleichberechtigte Beteiligung von Richtern, Rechtsanwälten und Hochschullehrern zu setzen.
Rülfing: Sie selbst referieren ja über das Thema „Digitalisierung in der Arbeitswelt“. Welche Fragen stellen sich hier besonders dringlich?
Henssler: Eine der dringlichsten Fragen ist sicherlich, ob das geltende Arbeits- und Sozialversicherungsrecht die Crowdworker, die für bestimmte Plattformen arbeiten, hinreichend schützt und wie gegebenenfalls angesichts der grenzüberschreitenden Tätigkeit überhaupt ein Schutz gewährleistet werden kann.
Allgemein stellt sich die Frage, ob das bipolare System aus Arbeitnehmern und Selbstständigen durch Zwischenstufen stärker aufgelockert werden sollte und ob hierfür die Sonderformen der arbeitnehmerähnlichen Personen und der Heimarbeit geeignet sind. Immerhin hat das BAG einen IT-Programmierer als Heimarbeiter eingestuft, so dass zu überlegen ist, ob dieser Ansatz weiter ausgebaut werden kann.
Rülfing: Beim Thema „Heimarbeit“ hat man bislang ja an eine ganz andere Art von Beschäftigten gedacht. Passt das alte Recht wirklich auf die neuen Beschäftigungsformen oder ist hier auch der Gesetzgeber gefragt?
Henssler: Sie haben recht, das Heimarbeitsgesetz ist schon vom Begriff her eigentlich ein überholt wirkendes Auslaufmodell. Von dem Gesetz werden Studien zufolge weniger als 30.000 Personen erfasst. Dehnt man daher den Anwendungsbereich des Gesetzes mit einem großzügigen Verständnis der Voraussetzungen auf Crowdworker aus, stellt sich sofort die Anschlussfrage, ob dann auch die weitreichenden Rechtsfolgen dieses Gesetzes passen. Meines Erachtens ist hier der Gesetzgeber gefragt, der die Rechte und Rechtsbeziehungen aller arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen transparent und kohärent komplett neu regeln sollte.
Rülfing: Ein weiteres wichtiges Praxis-Thema ist die Überwachung am Arbeitsplatz. Arbeitgeber beklagen oft einen viel zu weiten Anwendungsbereich von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Wie sehen Sie das?
Henssler: Die enorme Tragweite der von Ihnen genannten Vorschrift rührt aus dem Umstand, dass das BAG das Mitbestimmungsrecht bereits dann bejaht, „wenn die Einrichtung auf Grund ihrer technischen Gegebenheiten und ihres konkreten Einsatzes objektiv zur Überwachung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geeignet ist“, was nahezu immer der Fall sein wird. Im Rahmen der gesamten IT-Technologie besteht derzeit ein nahezu unbegrenztes Mitbestimmungsrecht, dessen Reichweite in der Tat diskussionsbedürftig ist. Insbesondere die notwendige Aktualisierung von Softwareprogrammen kann immer wieder neue Mitbestimmungsverfahren in Gang setzen, da dauerhaft Updates implementiert werden müssen. Der zugegebenermaßen nicht eindeutige Wortlaut der Vorschrift spricht von „dazu bestimmt sein“, erlaubt daher durchaus eine engere Auslegung. Zur sachgerechten Begrenzung der Anzahl an Mitbestimmungsverfahren überzeugt in praktischer Hinsicht die Idee von „prozessorientierten Betriebsvereinbarungen“, welche die Zulässigkeit von absehbaren Änderungen für eine gewisse Zeit antizipieren.
Rülfing: Ich sehe schon: Es gibt viel Diskussionsstoff für die Kölner Tage Arbeitsrecht. Zum Schluss: Wenn Sie diese Veranstaltung mit drei Attributen kurz beschreiben müssten, welche wären das?
Henssler: Hochaktuell, praxisnah und mit wissenschaftlichem Tiefgang.
[1]  Prof. Dr. Martin Henssler ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht an der Universität zu Köln. Er ist (Mit-)Herausgeber diverser arbeitsrechtlicher Werke, u.a. des Arbeitsrecht Kommentars und der Handbücher/Loseblattwerke Arbeitsrecht der betrieblichen Altersversorgung, Der Tarifvertrag und Arbeitsrecht in Europa sowie der Zeitschrift für Arbeitsrecht (ZFA).