In der Praxis ist eine der häufigsten Sollbruchstellen für eine außerordentliche Kündigung § 626 Abs. 2 S.1 BGB. Innerhalb der dort normierten Zweiwochenfrist muss der Arbeitgeber nach Kenntnis des Sachverhalts eine fristlose Kündigung aussprechen. Ist diese Kenntnis erst nach umfangreichen Sachverhaltsermittlungen zu erlangen, ist häufig streitig, ab wann diese Frist zu laufen begann. Dreh- und Angelpunkt bildet dabei die Frage, ob der Arbeitgeber den Sachverhalt zügig aufgeklärt hat. Will der Arbeitgeber die Kündigung zudem auf einen bloßen „Verdacht“ stützen, zählt dazu auch die Anhörung des von der Kündigung bedrohten Mitarbeiters. Sie hat ebenfalls mit der gebotenen Eile zu erfolgen, regelmäßig innerhalb einer Woche nach Bekanntwerden des maßgeblichen Kündigungssachverhalts (Vgl. bspw. BAG v. 31. Juli 2014 – 2 AZR 407/13). Bei Vorliegen besonderer Umstände kann sie jedoch überschritten werden.
Eine jüngst veröffentlichte Entscheidung des 2. Senats des BAG v. 27.6.2019- 2 ABR 2/19 sorgt hier insbesondere im Kontext von Hinweisgebersystemen (sog. „Whistleblowing-Hotlines“) in einigen Punkten für weitere Klarheit.
In dem vorliegenden Fall hatte eine Mitarbeiterin einen sie selbst betreffenden Belästigungsvorfall über ein Hinweisgebersystem ihres Arbeitgebers gemeldet. Einzelheiten dazu waren in einer Konzernbetriebsvereinbarung geregelt, die auch die Möglichkeit eines vertraulichen Hinweises vorsah. Die Mitarbeiterin bat um vertrauliche Behandlung, insbesondere darum, den Mitarbeiter zunächst nicht mit den Vorwürfen arbeitgeberseitig zu konfrontieren. Im Anschluss war sie für drei Wochen arbeitsunfähig erkrankt. Wieder im Betrieb bat sie darum, den Vorfall nunmehr doch offiziell untersuchen zu lassen. Erst dann kam es zur Anhörung des Mitarbeiters.
Anders als aus Sicht der Vorinstanz war das so veranlasste Zuwarten des Arbeitgebers aus Sicht des 2. Senats zulässig. Entscheidend waren für den 2. Senat wohl in erster Linie die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die im Zusammenhang mit dem Belästigungsvorfall stehende Arbeitsunfähigkeit der Hinweisgeberin. Ohne diese besonderen Umstände hätte der Arbeitgeber aus Sicht des 2. Senats zum Erhalt seiner Kündigungsberechtigung der Hinweisgeberin unmittelbar eine angemessen kurze Frist setzen müssen. Innerhalb derer hätte sie sich zur Beibehaltung der Vertraulichkeit erklären müssen. Insbesondere könne die Möglichkeit einer fortbestehenden Gefährdung anderer Mitarbeiter dazu führen, dass es an der Berechtigung für die Beibehaltung der Vertraulichkeit fehlen könnte, so der 2. Senat weiter.
Der vorliegende Fall macht einmal mehr deutlich, welch vielschichtige und diffizile Interessensabwägungsvorgänge Vertraulichkeitszusicherungen in Hinweisgebersystemen ggf. nach sich ziehen. Denn letztlich sind in diesem Abwägungsprozess die Interessen und Rechtspositionen von Hinweisgeber, Verdächtigem, Arbeitgeber und übriger Belegschaft zu berücksichtigen und zum Ausgleich zu bringen. Umso mehr spricht dafür, gerade diesem Aspekt bei der Ausgestaltung von Hinweisgebersystemen besondere Aufmerksamkeit zu widmen und durch eine gewisse Detailtiefe in den Regelungen auch transparent zum Ausdruck zu bringen. Denn wenn eine dort nur pauschal verbriefte „Vertraulichkeit“ in der Praxis rechtlich später nicht gelebt werden kann, verliert ein solches System schnell an Glaubwürdigkeit.