Beim einstweiligen Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren handelt es sich um eine Materie, die mitunter eine allgemeine Rechtsunsicherheit bei allen Beteiligten hervorruft, aufgrund der Zunahme in der täglichen Rechtspraxis aber eine immer größere Rolle im Arbeitsgerichtsverfahren einnimmt. Aus diesem Anlass habe ich mit dem Richter am Arbeitsgericht Berlin Michael H. Korinth [1], der sich bestens mit dem Thema auskennt, über drohende Fallstricke und neue Entwicklungen beim einstweiligen Rechtsschutz gesprochen.
Schloßmacher: Lieber Herr Korinth, als Richter am Arbeitsgericht haben Sie sicher oft mit Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz zu tun. Wo sind da die Fallstricke, was müssen die Verfahrensbeteiligten unbedingt beachten? Was sind die häufigsten Fehler?
Korinth: Es gibt im Eilverfahren nicht so viele Nachbesserungsmöglichkeiten wie im Hauptsacheverfahren. Gerade wenn es so eilig ist, dass ohne mündliche Verhandlung entschieden werden soll, müssen insbesondere die Formalia „sitzen“. Manchmal sind Kleinigkeiten wie z.B. die veraltete Adresse des Antragsgegners Ursache für einen Misserfolg im Eilverfahren. Häufig werden die Anträge so abgefasst, dass sie nicht für eine schnelle Vollstreckung taugen. Bei der Glaubhaftmachung wird bisweilen auf anwaltliche Schriftsätze Bezug genommen anstatt den wesentlichen Sachverhalt in eigenen Worten wiederzugeben und es wird nicht dargelegt, warum es über den „normalen“ Verfügungsgrund hinaus so eilig sein soll, dass ohne mündliche Verhandlung entschieden werden soll. Vom Gericht wird häufig übersehen, dass bei der Sicherungsverfügung keine feste Bindung an die Anträge besteht, sondern das Gericht gem. § 938 Abs. 1 ZPO nach freiem Ermessen bestimmt, welche Anordnungen zur Erreichung des Zweckes erforderlich sind. Darauf sollte in geeigneten Fällen auch ausdrücklich hingewiesen werden. Wichtig ist auch, dass man bereits in der Antragsschrift die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung beantragt. Eine große Fehlerquelle ist auch die Vollziehungsfrist des § 929 ZPO. Viel zu wenig wird zudem beachtet, dass der Antragsgegner nach § 926 ZPO beantragen kann, dem Antragsteller die Einleitung des Hauptsacheverfahrens aufzugeben. Das kann für diesen zum Problem werden, wenn er nicht beweisen kann, was er im Eilverfahren nur glaubhaft machen musste.
Schloßmacher: Gibt es Neuerungen in Gesetzgebung und/oder Rechtsprechung, die in Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren besonders zu beachten sind?
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Korinth: Die einstweilige Verfügung auf Urlaubsgewährung ist wieder möglich! War man bislang davon ausgegangen, dass nur eine Verfügung auf Gestattung des Fernbleibens von der Arbeit ergehen kann, führt die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache King zu einer Neubewertung. Wenn nur die Freistellung unter Zahlung oder vorbehaltloser Zusage der Vergütung eine Urlaubsgewährung darstellt, muss die einstweilige Verfügung auch so ergehen. Einstweilige Verfügungen gegen bevorstehende Kündigungen sind nicht nur möglich, sondern bisweilen sogar geboten. Der EuGH hat entschieden, dass gegen die Kündigung schwangerer Frauen europarechtlich auch ein präventiver Rechtsschutz geboten ist. Zur Durchsetzung der neuen Brückenteilzeit ist die einstweilige Verfügung notwendiger als beim Teilzeitanspruch nach § 8 TzBfG, denn dieser Anspruch wird ja für einen bestimmten Zeitraum geltend gemacht wird, der mit jedem Monat Prozessdauer kleiner wird. Hier kommt es zu einem interessanten Ineinandergreifen von einstweiliger Verfügung und uneigentlichem Hilfsantrag im Hauptsacheverfahren. Im Beschlussverfahren wurde ich in meiner Auffassung bestärkt, dass einstweilige Verfügungen gegen Massenentlassungen ohne hinreichenden Versuch des Interessenausgleiches nötig sind. Das BAG hat nämlich seine Auffassung bekräftigt, wonach der Nachteilsausgleich auf die Sozialplanabfindung anzurechnen ist. Es bedarf also einer wirksamen Sanktion gegen betriebsverfassungswidriges Verhalten des Arbeitgebers.
Schloßmacher: In welchem arbeitsrechtlichen Feld werden die meisten Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und woran liegt das?
Korinth: Urlaub, Urlaub, Urlaub! Das ist im Individualrecht immer noch das häufigste Thema. Aber auch die verschiedenen Formen des Beschäftigungs- und Weiterbeschäftigungsanspruches sind in der arbeitsgerichtlichen Praxis von großer Bedeutung. Der Arbeitgeber sitzt ja in den meisten Fällen „am längeren Hebel“, so dass der Arbeitnehmer gerichtlichen Rechtsschutz benötigt, und zwar in diesen Fällen nicht erst in ein paar Monaten, sondern zeitnah. Schließlich sind auch die Anträge von Betriebsräten und Wahlvorständen von großer praktischer Bedeutung. Hier spielt der Arbeitgeber häufig auf Zeit, was einen effektiven, d.h. auch schnellen Rechtsschutz notwendig macht. Für den Arbeitgeber bedeutsam sind die Anträge auf Untersagung von unzulässigem Wettbewerb. Worauf ich noch warte sind Anträge auf Löschung oder Herausgabe elektronischer Daten. Das scheint mir ein großes Problemfeld zu sein, das aber noch nicht so sehr an die Gerichte herangetragen worden ist.
Schloßmacher: Sie haben kürzlich Ihr Hand- und Formularbuch „Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtverfahren“ in der mittlerweile 4. Auflage veröffentlicht und im aktuellen Heft des ArbRB einen Aufsatz zu diesem Thema geschrieben. Wie kamen Sie dazu, sich derart vertieft mit dem einstweiligen Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren zu beschäftigen?
Korinth: Das war Zufall! Ich wurde vom Verlag angesprochen und habe gemerkt, dass das gar kein langweiliges „Schwarzbrotthema“ ist, sondern sehr spannend. Fast jeder arbeitsrechtliche Anspruch kann ja Gegenstand des Eilverfahrens sein, d.h. man beschäftigt sich ständig mit einer sehr breiten Palette arbeitsrechtlicher Themen. Es ist sehr spannend, dass sich von Auflage zu Auflage immer neue Themen und neue Facetten bekannter Probleme auftun.
Schloßmacher: Zurzeit befinden Sie sich auf einer Lesereise, in der Sie Ihr Buch vorstellen. Sie waren unter anderem auch in Hamburg, wo über 100 Besucher zugegen waren. Dies muss doch ein großer Erfolg für Sie gewesen sein. Welches Feedback erhalten Sie auf solchen Veranstaltungen?
Korinth: Die Reaktionen sind bisweilen so positiv, dass ich ganz rot werde vor Freude! Es ist wirklich toll, dass sich so viele Leute für ein Thema interessieren, manchmal auch begeistern, das nicht so im Fokus von Literatur und Rechtsprechung steht.
Schloßmacher: Ihr Werk ist neuerdings auch bei Otto Schmidt online in dem neuen Aktionsmodul Arbeitsrecht enthalten, in dem die Inhalte vieler erstklassiger, arbeitsrechtlicher Standardwerke sowie der Zeitschriften ArbRB und ZFA enthalten sind. Was sagen Sie dazu?
Korinth: Es ehrt mich wirklich sehr, dass mein Werk sich einreihen darf in die Reihe großartiger Standardwerke des Otto-Schmidt-Verlages!
Schloßmacher: Inwieweit erleichtern vorgefertigte Muster und Formulierungshilfen, die in Ihrem Buch auch zum Download angeboten werden und in der Otto Schmidt Datenbank enthalten sind, dem Arbeitsrechtler die tägliche Arbeit?
Korinth: Im Eilverfahren muss es ja schnell gehen! Man hat häufig gar nicht die Zeit, sich alles zusammenzusuchen. Deshalb habe ich viele derartiger Muster aufgenommen, in denen das Grundgerüst bereits enthalten ist. Die Anwendung auf den konkreten Fall ist dann natürlich immer noch eine anspruchsvolle Aufgabe, aber man hat wenigstens schon einmal Grundstruktur und kann sich darauf konzentrieren, die Einzelheiten des Falles einzuarbeiten.
Schloßmacher: Was raten Sie (jungen) Arbeitsrechtlern, wie sie sich rechtssicher im einstweilen Rechtsschutz verhalten können?
Korinth: Haben Sie den Mut, auch Neues zu denken und zu machen! Ich habe mich bei der ersten Auflage sehr an Autoritäten in Literatur und Rechtsprechung orientiert und bin von Auflage zu Auflage immer mutiger bei der Entwicklung eigener Gedanken geworden. Das bringt die Rechtsprechung voran. Man muss natürlich immer damit rechnen, dass das angerufene Gericht in tradierten Strukturen denkt und handelt. Das muss man insbesondere bei der Prozesstaktik immer berücksichtigen.
Schloßmacher: Lieber Herr Korinth, ich danke Ihnen sehr herzlich für das aufschlussreiche Interview!
[1] Michael H. Korinth ist seit 1991 Richter am ArbG Berlin. Er hat zahlreiche Publikationen zu arbeitsrechtlichen Themen verfasst und ist insbesondere Herausgeber des Buches „Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren“, Mitautor des Kommentars von Schwab/Weth zum Arbeitsgerichtsgesetz und gehört zum festen Autorenteam der Zeitschrift Arbeits-Rechtsberater.