Nach der Neufassung des § 7 Abs. 4 der (Muster-) Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä n. F.) beraten und behandeln Ärzte ihre Patienten zwar grundsätzlich im persönlichen Kontakt. Sie können dabei aber Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Aufgrund dieser neuen telemedizinischen Möglichkeiten bieten Ärzte teilweise eine „ärztliche Behandlung“ über das Internet an. Allein die online-Beantwortung weniger Fragen durch den „Patienten“ führt zu einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen einer Erkältung, ohne dass ein persönlicher Kontakt mit dem Arzt bestanden hat (ausführlich Kleinebrink, Das Ende des hohen Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch Krankschreibungen „per Knopfdruck“? ArbRB 2019,147). Einer derartigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt kein erhöhter Beweiswert zu. Hierfür hat das BAG bereits in der Vergangenheit eine persönliche Untersuchung des Arbeitnehmers verlangt (BAG v. 11.8.1976 –5 AZR 422/75).
Nun hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) am 16. Juli 2020 eine Änderung seiner Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien beschlossen, die allerdings noch nicht in Kraft ist. Mit ihr greift der G-BA die Vorgaben der geänderten Musterberufsordnung auf und trägt Ihnen in der Arbeitsunfähigkeit-Richtlinie Rechnung. Vertragsärzte können demnach die Arbeitsunfähigkeit von Versicherten unter bestimmten Voraussetzungen zukünftig auch per Videosprechstunde feststellen. Während die Möglichkeit, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen allein durch einen Anruf beim Arzt zu erhalten, nur während einer bestimmten Zeit der gegenwärtigen Pandemie bestand, ist diese Anpassung nicht krisenbezogen.
Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit in einer Videosprechstunde setzt voraus, dass der Versicherte der behandelnden Arztpraxis bekannt ist und die Erkrankung eine Untersuchung per Videosprechstunde zulässt. Wird auf diese Weise eine Arbeitsunfähigkeit erstmals festgestellt, ist dies lediglich für einen Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen möglich. Eine Folgekrankschreibung über Videosprechstunde ist nur zulässig, wenn die vorherige Krankschreibung aufgrund unmittelbarer persönlicher Untersuchung ausgestellt wurde. Ein Anspruch der Versicherten auf Krankschreibung per Videosprechstunde besteht jedoch nicht.
In der Pressemitteilung, die sich unter www.g-ba.de findet, wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Krankschreibung per Videosprechstunde bei Versicherten ausgeschlossen ist, die in der betreffenden Arztpraxis bislang noch nie persönlich vorstellig geworden sind, sowie die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit ausschließlich auf Basis z. B. Eines online-Fragebogens, einer Chat-Befragung oder eines Telefonats nicht möglich ist. Die oben geschilderte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung „per Knopfdruck“ kann auf diesem Wege deshalb nicht ausgestellt werden.
Mag die Krankschreibung per Videosprechstunde auch zuverlässiger sein als die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf Knopfdruck, wird man dennoch davon ausgehen müssen, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die auf diesem Weg ausgestellt wird, keine hohen Darlegungs- und Beweiswert hat. Dem Arbeitnehmer obliegt es im Streitfall im vollen Umfang darzulegen und zu beweisen, dass eine solche Arbeitsunfähigkeit tatsächlich bestanden hat. Hierfür spricht, dass es keinerlei Lebenserfahrung gibt, ob auf diese Weise erstellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen inhaltlich zutreffend sind. Gerade diese Lebenserfahrung war bisher für das BAG der Grund, von einem hohen Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auszugehen. Man wird weiter daran festhalten können, dass diese hohe Beweiswert die persönliche Untersuchung durch den Arzt verlangt.
Unter der genannten Internetadresse finden sich der genaue Wortlaut des Beschlusses sowie weitere Hinweise.