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Messi und die Ausstiegsklausel

avatar  Philipp S. Fischinger

Es ist eine der Top-Meldungen dieser Tage: Lionel Messi, einer der besten Fußballspieler aller Zeiten, will „seinen“ FC Barcelona verlassen.[1] Mutmaßlicher Auslöser ist die historische 2:8-Niederlage gegen den FC Bayern München im Champions-League-Viertelfinale der Saison 2019/2020. „Schön und gut“, mag man sagen, „aber warum sollte das Thema für einen (deutschen) Arbeitsrechtsblog sein?“ Immerhin ist doch davon auszugehen, dass sich Messis Arbeitsvertrag nach spanischem Recht richtet. Allerdings: Die durch Messis Ausstiegswunsch aufgeworfenen rechtlichen Fragen können sich jederzeit auch bei Spielern in Deutschland, für die deutsche Recht gilt, stellen.[2] Sein Fall soll deshalb nur als Aufhänger für die Frage fungieren, wie solche Konstellationen im deutschen Recht zu lösen sind.

Messi hat noch ein – wie es so schön in der Fußballersprache heißt – gültiges Arbeitspapier bis zum 30.6.2021.[3] Hinzu kommt, dass Fußballspieler aufgrund der Befristung ihres Arbeitsvertrages klassischerweise kein Recht zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsvertrages haben.[4] Ein vorzeitiger Klubwechsel kommt deshalb im Ausgangspunkt nur in Betracht, wenn der FC Barcelona mitspielt, sprich: Messi einvernehmlich per Aufhebungsvertrag aus dessen Arbeitsverhältnis entlässt. Seine Zustimmung hierzu erteilt ein Klub typischerweise aber nur, wenn ein anderer Klub – umgangssprachlich, juristisch aber unzutreffend als „Käufer“ tituliert – bereit ist, hierfür eine mehr oder minder hohe „Transferentschädigung“ zu zahlen. Bei Messi, dessen aktueller Marktwert sich auf € 112 Millionen belaufen soll,[5] bestehen nun nach Medienberichten[6] zwei Besonderheiten: Zum einen enthält sein Vertrag eine sog. „Ausstiegsklausel“, d.h. eine Abrede, nach der der Spieler bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen das Recht hat, den Klub zu verlassen; juristisch kann das z.B. als aufschiebend bedingte Zustimmung des Klubs zum Aufhebungsvertrag mit dem Spieler und dem „Transfervertrag“ mit dem „Käufer“ interpretiert werden.[7] Im Falle von Messi legt die Ausstiegsklausel eine fixe Ablösesumme von € 700 Millionen (!) fest. Es bedarf wohl keiner hellseherischen Fähigkeiten, um zu prognostizieren, dass kein Klub diese irre Summe ausgeben wird, schon gar nicht für einen 33-Jährigen. Zum anderen – wir nähern uns dem arbeitsrechtlichen Problem – enthält der Arbeitsvertrag von Messi aber auch ein Sonderkündigungsrecht nach Ablauf jeder Saison, welches es ihm ermöglicht, den Klub ablösefrei (!) zu verlassen. Allerdings: Dieses Sonderkündigungsrecht ist nach den Buchstaben des Vertrages zeitlich befristet bis zum 10.6. jedes Jahres – und diese Frist ist nun natürlich längst verstrichen.

Das wirft die Frage nach dem zeitlichen Schicksal dieses Sonderkündigungsrechts auf. Kann dessen vereinbartes „Verfallsdatum“ (10.6.2020) auch dann Bestand haben, wenn die Saison 2019/2020 zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht beendet war? Immerhin endete der Ligabetrieb in Spanien erst am 19.7.2020 und das letzte Spiel des FC Barcelona in dieser Saison – eben das notorische Viertelfinale gegen den FC Bayern München – fand sogar erst am 14.8.2020 statt.

Man wird getrost davon ausgehen können, dass die Klubs und Spieler keine Regelung für den Fall getroffen haben, dass zum vereinbarten Verfallsdatum die Saison 2019/2020 noch nicht beendet sein wird. Auf dem Boden des deutschen Rechts hängt das Schicksal der Ausstiegsklausel/des Sonderkündigungsrechts dann von einer ergänzenden Vertragsauslegung ab, bei der maßgeblich ist, was die Parteien bei Vertragsschluss redlicherweise vereinbart hätten, wenn sie die eingetretene Entwicklung in ihre Überlegungen aufgenommen hätten.[8]

Führt man sich die beiderseitige Interessenlage vor Augen, spricht nun aber viel dafür, dass sich die „Verfallsfrist“ über das ursprünglich vereinbarte Datum hinaus verlängert:

  • So hat der Spieler an der Ausstiegsoption großes Interesse. Denn ein Wechsel zu einem anderen Klub, der für den Spieler sportlich und/oder finanziell attraktiver ist, wird durch die Ausstiegsklausel oder das Sonderkündigungsrecht deutlich erleichtert oder oft gar erst ermöglicht – das zeigt der Fall Messi besonders eindrucksvoll. Alternativ hat der Spieler die Chance, sich die Nichtausübung des Sonderkündigungsrechts bzw. den Nichtgebrauch der Ausstiegsklausel beim aktuellen Klub finanziell „veredeln“ zu lassen. Angesichts dieser Ãœberlegungen ist es für den Spieler von hoher Bedeutung, dass die Klausel praktisch „funktioniert“ und die Frist nicht mitten in der laufenden Saison verstreicht. Das gilt umso mehr, als er während des laufenden Saisonbetriebs meistens nicht den Kopf für Verhandlungen mit anderen Klubs frei hat und überdies viele Klubs erst dann über die künftige Kaderzusammensetzung entscheiden können oder wollen, wenn feststeht, ob ein bestimmtes sportliches Ziel (z.B. Aufstieg, Qualifikation für Champions League) erreicht wurde oder nicht.
  • Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht überrascht, hat auch der aktuelle Klub des Spielers aus der für die ergänzende Vertragsauslegung maßgeblichen Perspektive des Vertragsschlusses regelmäßig ein Interesse an einer Verschiebung der „Verfallsfrist“. Denn es liegt auf der Hand, dass die im deutschen Profifußball typischerweise gewählten Verfallsfristen zwischen Mitte Mai und Ende Juni darauf beruhen, dass die jeweilige Saison zu diesem Zeitpunkt in der Regel bereits beendet ist.[9] Nicht anders verhält es sich übrigens im Falle von Messi, sind die Spielzeiten in Spanien doch normalerweise Mitte Mai beendet[10] und selbst das Finale der Champions League wird in Normalzeiten stets spätestens in der ersten Juniwoche gespielt.[11] Das ist für den Klub insoweit von Vorteil, als der Spieler nach dem letzten Pflichtspiel noch genügend Zeit hat, um ggf. einen neuen Klub zu suchen und mit ihm zu verhandeln. Damit erhöht sich für den bisherigen Klub die Chance, dass der Spieler in den meist entscheidenden letzten Saisonspielen voll auf die Sportausübung fokussiert ist und nicht durch Ãœberlegungen zu einem möglichen Wechsel abgelenkt ist. Wenn die Saison nun aber, wie 2019/2020 geschehen, weit über das „normale“ Ende hinaus fortgesetzt wird, kann diesem Klubinteresse nur Rechnung getragen werden, wenn sich auch die „Verfallsfrist“ verschiebt.

Es spricht deshalb viel dafür, dass sich in der Regel die Ausübungsfristen für Ausstiegsklauseln und Sonderkündigungsrechte von Profisportlern im Wege ergänzender Vertragsauslegung verlängern, wenn eine Saison entgegen der Erwartungen der Arbeitsvertragspartner bei Vertragsschluss (weit) über die normale Laufzeit hinaus andauert.[12] Bei der Antwort auf die Frage, wie weit sich die Verfallsfrist verlängert, liegt es nahe, sich am ursprünglichen Gestaltungsplan der Vertragsparteien zu orientieren. Das bedeutet: Wurde als Verfallsdatum ursprünglich z.B. ein Zeitpunkt gewählt, der ca. vier Wochen nach dem letzten Pflichtspiel bei regulärem Saisonverlauf liegen würde, spricht viel dafür, dass die Ausübungsfrist nunmehr vier Wochen nach dem letzten Pflichtspiel des Klubs in der verlängerten Saison 2019/2020 abläuft.

Ob der FC Barcelona Menschlichkeit walten und den höchstverdienten Lionel Messi ablösefrei ziehen lässt, ob der Klub wirtschaftlich denkend hart bleibt und auf Zahlung einer (hohen) Ablösesumme besteht oder ob der Fall am Ende gar die Gerichte beschäftigen wird: Es bleibt spannend.

Prof. Dr. Philipp S. Fischinger, LL.M. (Harvard)

 

 

[1] https://www.kicker.de/782812/artikel/nach_20_jahren_messi_vor_abschied_vom_fc_barcelona.

[2] Z. B. im Falle von Milot Rashica vom SV Werder Bremen (vgl. https://www.kicker.de/779305/artikel).

[3] Quelle: https://www.transfermarkt.de/lionel-messi/profil/spieler/28003.

[4] In Deutschland § 15 III TzBfG, vgl. dazu Fischinger/Reiter, Das Arbeitsrecht des Profisports, § 10, Rn. 74 (erscheint demnächst).

[5] Quelle: https://www.transfermarkt.de/lionel-messi/profil/spieler/28003.

[6] Vgl. z.B. https://www.kicker.de/782812/artikel/nach_20_jahren_messi_vor_abschied_vom_fc_barcelona.

[7] Fischinger/Reiter, Das Arbeitsrecht des Profisports, § 10, Rn. 155 (erscheint demnächst).

[8] MüKo-BGB/Finkenauer, § 313, Rn. 41 m.w.N.

[9] So war z.B. der letzte Spieltag in der Bundesligasaison 2018/2019 der 18.5.2019 (2017/2018: 12.5.2018); Quelle: https://www.kicker.de/1-bundesliga/tabelle/2019-20.

[10] Vgl. für die letzten Jahre: 18.5.2019, 19.5.2018, 19.5.2017, 13.5.2016 (Quelle: https://www.kicker.de/liga-bbva/spieltag/2018-19).

[11] Vgl. für die letzten Jahre: 1.6.2019, 26.5.2018, 3.6.2017, 28.5.2016 (Quelle: https://www.kicker.de/champions-league/spieltag/2018-19).

[12] Fischinger, SpuRt 2020, 158, 162.

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