Es gibt wenig arbeitsrechtliche Gesetzesvorhaben, die in den vergangenen Monaten so kontrovers diskutiert worden sind, wie ein mögliches „Recht auf Arbeiten im Homeoffice“ und die „Pflicht zu einer detaillierteren Arbeitszeitdokumentation“. Eine jüngst in einem Kündigungsrechtsstreit ergangene Entscheidung des LAG Berlin Brandenburg (Urteil v. 11.09.2020 – 9 Sa 584 /20) zeigt auf, welche Fallstricke insbesondere auch unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten in dieser Gemengelage entstehen können. Angesichts des aktuellen „Lockdown Light“ und einer erneut vermehrten Verlagerung von Tätigkeiten ins „Homeoffice“ lohnt ein kurzer Blick auf die nunmehr vorliegenden Entscheidungsgründe.
Freiheit im „Heimbüro“
Der Sachverhalt beschreibt ein in der Praxis durchaus nicht selten anzutreffendes Szenario. Der im Vertrieb mit einer Leitungsfunktion bedachte Kläger genoss über Jahrzehnte relativ große Freiheiten und operierte im Einvernehmen mit seinem Arbeitgeber mit einem Dienstwagen aus einem „Heimbüro“ heraus. Als die Vertriebszahlen jedoch stark rückläufig waren, fragte sich der Geschäftsführer der Beklagten angesichts einer sechsstelligen Vergütung „was der Kläger während seiner Arbeitszeit mache“ und ließ sich dessen letzte Reisekostenabrechnungen vorlegen. Im weiteren Verlauf kam es zum Engagement einer Detektei.
4 Detektive und ein Dienstwagen
Zwei sodann im Anschluss vom Kläger erstellte Reisekostenabrechnungen wiesen an 2 Tagen Ortsabwesenheiten von 11,5 und 9,5 Stunden nebst Verpflegungspauschalen aus. Die mit vier Detektiven parallel durchgeführte heimliche Rundum-Observierung des Dienstwagens zum Preis von EUR 26.268,39 dokumentierte mit einer Vielzahl von Photos an einem dieser Tage nicht nur den Besuch einer Fußpflegepraxis durch die Ehefrau des Klägers am Vormittag und den Besuch der örtlichen Metzgerei durch den Kläger zur Mittagszeit. Sie ergab auch, dass angesichts der An- und Abfahrtszeiten vom Wohnhaus die angegebenen Ortsabwesenheiten vollständig bzw. im Umfang von mehreren Stunden unzutreffend waren. Damit in einer Anhörung konfrontiert berief sich der Kläger darauf, dass sich die dortigen Angaben stets auf die von ihm verrichtete Arbeitszeit bezogen haben. Diese habe er an den Tagen im „Heimbüro“ verrichtet. Die von der Beklagten ins Feld geführte „Arbeitszeitregelung ab 1.4.1993“ kenne er nicht. Die Beklagte kündigte im Anschluss an die Anhörung außerordentlich, hilfsweise ordentlich und verlangte zudem Erstattung der Detektivkosten.
Die Begründung des LAG Berlin-Brandenburg
Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage des Klägers wie auch die Widerklage auf Erstattung der Detektivkosten abgewiesen. Das LAG hat dieses Urteil teilweise aufgehoben und der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Angesichts eines -vom Kläger- gestellten Auflösungsantrags fand das Anstellungsverhältnis gleichwohl gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe eines Viertels des Höchstbetrags gemäß §§ 9,10 KSchG sein Ende.
Tragendes Begründungselement für die Stattgabe der Kündigungsschutzklage war ein aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitetes Verwertungsverbot der Observationsergebnisse. Dabei ließ das Gericht offen, ob es sich dabei auf das insbesondere vom 2. Senat des BAG entwickelte Sachvortragsverwertungsverbot stützte (Vgl. dazu bspw. BAG v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18, ArbRB 2018, 258 (Grimm)). Wesentlich war für das LAG, dass es zum Zeitpunkt der Hinzuziehung der Detektei noch an den gemäß § 26 Abs. 1 BDSG erforderlichen „tatsächlichen Anhaltspunkten“ für eine schwerwiegende Pflichtverletzung gefehlt habe.
Verhaltensbedingte Kündigungen im Kontext heimlicher Datenerhebung in der Praxis
Die Entscheidung zeigt einmal mehr, dass es letztlich zwei Zeitpunkte gibt, an denen auf Arbeitgeberseite sorgfältig in eine datenschutzrechtliche Prüfung eingestiegen werden sollte:
1. Prüfung vor der Durchführung der Maßnahmen
Das gilt zum einen vor Durchführung jedweder heimlichen Überwachung. Häufig wird sich zwar angesichts einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe nur eine etwaige Prognose abgegeben lassen, ob die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Allein die Auseinandersetzung mit den damit verbundenen Fragestellungen mag jedoch dazu führen, dass ggf. vorrangige Alternativen überhaupt erstmals in den Blick geraten. Dazu zählt regelmäßig die Prüfung, ob nicht Pflichten vorsorglich zunächst nochmals transparent gemacht werden sollten, bevor bereits eine heimliche Überwachungsmaßnahme über den Nachweis etwaiger Verstöße gegen diese Pflichten angestoßen wird. Zudem erleichtert die interne Dokumentation dieser Prüfung die später ggf. erforderliche Argumentation, warum -mangels gleicher Eignung- bewusst von einer solchen Alternative abgesehen wurde.
2. Prüfung des Prozessvortrags
Weiterhin führt die mittlerweile gefestigte Rechtsprechung des 2. Senats zum Sachvortragsverwertungsverbots faktisch sicher vermehrt dazu, dass Datenschutzverstöße -wie hier- explizit in den Entscheidungsgründen gerichtlicher Urteile dokumentiert werden. Insoweit sollte genau evaluiert werden, was zum Gegenstand des Prozessvortrags gemacht wird. Wie und warum bspw. Details über den Fußpflegebesuch der Ehefrau des Klägers Einzug in den Tatbestand des Urteils fanden, erschließt sich zumindest nicht auf Anhieb. Denn wie letztlich die Aufsichtsbehörde mit einem so dokumentierten Verstoß umgeht ist genauso wenig vorhersehbar wie eine mögliche spätere Verwertung durch den Betroffenen im Rahmen eines Schadensersatzprozesses. Die Art 82 ff. DSGVO bieten dafür durchaus Potential.
Allerdings kann im Rahmen der dort vorzunehmenden Bewertungen das verfassungs- und eurpoarechtliche Spannungsfeld nicht völlig außer Betracht bleiben (Vgl. näher zu dieser Gemengelage im Kündigungsschutzprozess auf der Grundlage heimlicher Überwachungsmaßnahmen: Lentz, ArbRB 2018, 374, 376 f.). Insbesondere angesichts des dort verbrieften Rechts auf rechtliches Gehör sollte eine datenschutzrechtlich ggf. zweideutige Rechtslage nicht faktisch dazu führen müssen, dass der prozessuale Sachvortrag dann vorsorglich besser gänzlich unterbleibt. Gegen eine eindeutig erkennbare Datenschutzverletzung mag sprechen, dass die Vorinstanz noch anders entschieden hatte.