Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte im Juni 2018 entschieden, dass die vom BAG vorgenommene Begrenzung des sog. Vorbeschäftigungsverbots des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG auf drei Jahre verfassungswidrig ist (Beschluss vom 06.06.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14, ArbRB 2018, 195 [Marquardt]). Das BAG gab seine im Jahr 2011 etablierte Rechtsprechung daraufhin auf (Urteil vom 23.01.2019 – 7 AZR 733/16, ArbRB 2019, 163 [Braun]). Auch nach Auffassung des BVerfG sollen jedoch nicht sämtliche Vorbeschäftigungen eine erneute sachgrundlos befristete Beschäftigung verhindern. Das Verbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG sei unzumutbar, soweit eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht bestehe und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich sei, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als „Regelbeschäftigungsform“ zu erhalten. Das Verbot der sachgrundlosen Befristung könne insbesondere dann unzumutbar sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliege, ganz anders geartet oder von sehr kurzer Dauer gewesen sei.
Diese Aussagen allein helfen dem Rechtsanwender freilich noch nicht weiter. Während das BVerfG den Begriff der „ganz anders gearteten“ Beschäftigung durch Beispiele näher eingegrenzt hat (geringfügige Nebenbeschäftigung während der Schul-/Studien-/Familienzeit, Werkstudierendentätigkeit, Tätigkeit vor beruflicher Neuorientierung), hat es offengelassen, wann eine Vorbeschäftigung „sehr lange zurückliegt“.
Zwischenzeitlich sind zu dieser Frage einige Urteile ergangen. Das BAG hat entschieden, dass ein Zeitraum von ca. 15 Jahren „ohne das Hinzutreten besonderer Umstände“ noch nicht ausreicht (BAG, Urteil vom 17.04.2019 – 7 AZR 323/17, ArbRB 2019, 295 [Hülbach]). Welche besonderen Umstände dies sein könnten, hat das BAG wiederum offengelassen. Nach Ablauf von ca. 22 Jahren soll eine sachgrundlose Befristung bei demselben Arbeitgeber hingegen „in der Regel“ wieder zulässig sein (BAG, Urteil vom 21.08.2019 – 7 AZR 452/17, ArbRB 2020, 36 [Mues]).
Jüngst hat das LAG Berlin-Brandenburg entschieden, dass ein Zeitraum von 17 Jahren und 3 Monaten jedenfalls dann ausreicht, wenn das Vorbeschäftigungsverhältnis auf Betreiben des Arbeitnehmers aufgelöst worden ist (Urteil vom 11.09.2020 – 2 Sa 747/20, ArbRB online). Im konkreten Fall hatte eine Tierpflegerin nach gut neun Monaten um die Aufhebung ihres befristeten Arbeitsvertrags mit einer Stiftung des öffentlichen Rechts gebeten, um in ein kommerzielles Pharmaunternehmen zu wechseln. Nach Auffassung des LAG besteht in einem solchen Fall keine Gefahr einer Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmerin; diese habe durch den Abschluss des Aufhebungsvertrags selbst „die Kette zerrissen“. Jedenfalls die Kombination aus der langen Zeitspanne von ca. 17 Jahren und 3 Monaten und der Aufhebung des ersten Arbeitsverhältnisses mache es auch nicht erforderlich, die Arbeitnehmerin zum Erhalt des unbefristeten Arbeitsverhältnisses als Regelbeschäftigungsform weiterzubeschäftigen.
Die Klägerin hat Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Ob das BAG die Entscheidung – sollte die Revision zugelassen werden – bestätigen würde, ist schwer zu prognostizieren. Die Gefahr einer Kettenbefristung dürfte zumindest nicht bestehen; das BAG hat diese schon bei einem Abstand von 15 Jahren verneint (BAG, Urteil vom 17.04.2019 – 7 AZR 323/17, juris Rn. 24, ArbRB 2019, 295 [Hülbach])). In solchen Konstellationen hat es zuletzt vielmehr entscheidend darauf abgestellt, ob die erneute Befristung mit dem sozialpolitischen Zweck des Schutzes der unbefristeten Beschäftigung als Regelfall im Einklang steht. Dies soll bei einer Unterbrechung von 15 Jahren nicht der Fall sein, weil dann im Rahmen eines typischen Erwerbslebens von 40 Jahren drei sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse mit demselben Arbeitgeber abgeschlossen werden könnten – zu Beginn, in der Mitte und am Ende des Erwerbslebens. Dann wäre die sachgrundlose Befristung jedoch nicht mehr die Ausnahme.
Bei einer Unterbrechung von 17 Jahren und 3 Monaten wären nach dieser Berechnung nur zwei zweijährige sachgrundlose Befristungen bei demselben Arbeitgeber möglich – eine zu Beginn des Erwerbslebens und eine in der Mitte (nach 19 Jahren und 3 Monaten). Ob das BAG dies ausreichen ließe, ist mehr als fraglich, zumal nach dieser Berechnung noch Raum für eine weitere 18-monatige sachgrundlose Befristung zum Ende des Erwerbslebens wäre. Wahrscheinlicher ist, dass das BAG – wie im Urteil vom 17.04.2019 angeklungen – zukünftig auf das Eingreifen der längstmöglichen gesetzlichen Kündigungsfrist abstellen wird, da sich so an eine gesetzgeberische Wertung anknüpfen lässt (§ 622 Abs. 2 Nr. 7 BGB). Bis auf Weiteres sollte also vorsorglich davon ausgegangen werden, dass eine Vorbeschäftigung mindestens 20 Jahre zurückliegen muss, um unschädlich zu sein. Welche Rolle Besonderheiten wie die selbst veranlasste Aufhebung des Vorbeschäftigungsverhältnisses spielen, ist noch völlig offen.
Um frühere Arbeitnehmer identifizieren und Verstöße gegen das Vorbeschäftigungsverbot somit sicher vermeiden zu können, müssten gerade größere Unternehmen sämtliche Beschäftigungsverhältnisse und deren Dauer für mindestens 22 Jahre nach ihrer Beendigung in einer Datenbank speichern. Die Datenbank müsste auch das Geburtsdatum der Arbeitnehmer enthalten, um sie auch im Fall eines zwischenzeitlich erfolgten, heiratsbedingten Namenswechsels identifizieren zu können. Allerdings ist umstritten, ob eine solche Speicherung datenschutzrechtlich zulässig ist (dafür etwa: Kühling/Buchner/Maschmann, § 26 BDSG Rn. 56; dagegen etwa Weinbrenner/Warczinski, öAT 2020, 249 [252]). M.E. muss eine Speicherung der Grunddaten, d.h. Name, Geburtsdatum sowie Art und Dauer des Beschäftigungsverhältnisses, angesichts der weitreichenden Folgen von Verstößen gegen das Vorbeschäftigungsverbot zulässig sein. Bis zu einer Klärung dieser Frage sollten Arbeitgeber jedoch vorsichtig sein und stattdessen etwaige Vorbeschäftigungen schon in der Bewerbungsphase abfragen. Klauseln im Arbeitsvertrag, durch die Arbeitnehmer bestätigen, noch nicht in einem Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber gestanden zu haben, hat das LAG Baden-Württemberg wegen Verstoßes gegen § 309 Nr. 12 b) BGB für unwirksam erklärt (Urteil vom 11.03.2020 – 4 Sa 44/19).
Bis auf Weiteres besteht also eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Auch wenn Arbeitnehmer bereits in einem Arbeitsverhältnis zu demselben Unternehmen standen, scheidet eine Befristung allerdings nicht generell aus. Wenn die erneute Befristung auf einen Sachgrund i.S.d. § 14 Abs. 1 TzBfG gestützt werden kann, stellen sich die hier erörterten Probleme von vornherein nicht.
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Lesen Sie dort u.a. diese Beiträge:
- Chandna-Hoppe, Das Befristungsrecht im Wandel – Unionsrechtlicher Rahmen, verfassungsrechtliche Implikationen und mögliche Gesetzesänderungen, ZFA 2020, 70
- Laber/Santon, Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Vorbeschäftigungsverbot – Inhalt, Auswirkungen und praktische Umsetzung, ArbRB 2018, 349