Entscheidungen zum Tarifrecht werden in der Beratungspraxis häufig nur von denjenigen zur Kenntnis genommen, die mit dem einschlägigen Tarifvertrag täglich zu tun haben. Hierbei wird unterschätzt, dass derartige Entscheidungen allgemeine Aussagen enthalten können, die über das Tarifrecht hinaus gelten. Ein Beispiel hierfür ist eine Entscheidung des BAG vom 24.2.2021 – 7 ABR 9/20 – die vordergründig nur Aussagen zur Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei einer Leistungsbeurteilung nach dem Entgeltrahmenabkommen des Metalltarifvertrags NRW enthält, tatsächlich aber allgemeine arbeitsrechtliche Gültigkeit beanspruchen kann.
Ein an die Tarifverträge der Metallindustrie gebundener Arbeitgeber führte eine betriebliche Leistungsbeurteilung ein, die im Entgeltrahmenabkommen des Tarifwerks vorgesehen ist. Allerdings beteiligte er die im Betrieb gewählte Schwerbehindertenvertretung nicht. Diese beanstandete dies unter Berufung auf § 178 Abs. 2 SGB IX und begehrte eine nachträgliche Beteiligung. Nach dieser Vorschrift hat ein Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Wird eine Entscheidung ohne die gebotene Beteiligung dieses Gremiums getroffen, ist deren Durchführung oder Vollziehung auszusetzen; die Beteiligung ist innerhalb von sieben Tagen nachzuholen; sodann ist endgültig zu entscheiden.
Das BAG bestätigt die Entscheidung des LAG, nach der festgestellt wird, dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung vor der schriftlichen Mitteilung und Erläuterung der Leistungsbeurteilung gegenüber Schwerbehinderten und diesen Gleichgestellten zu unterrichten und anzuhören hat.
Die Begründung des BAG wird man nicht nur auf tarifvertragliche Leistungsbeurteilungen, sondern allgemein auf jegliche Art der Beurteilung einer Leistung, zumindest wenn sie finanzielle Folgen hat, anwenden können. Das Gericht nimmt nämlich eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX an, wenn behinderungsbedingte Einschränkungen bei Schwerbehinderten und diesen Gleichgestellten bestehen können, die sich auf das Beurteilungsergebnis und damit auf die Zulagenhöhe auswirken können. Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung soll geboten sein, weil dieses Gremium dann auf mögliche behindertenspezifische Auswirkungen der Entscheidung hinweisen kann. Ein Arbeitgeber ist demnach verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung vor der Mitteilung der Leistungsbeurteilung an den Schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Arbeitnehmer und deren Erläuterung hierüber zu unterrichten und sie hierzu anzuhören. Das Gericht unterscheidet folglich nicht, ob die Schwerbehinderung im konkreten Fall überhaupt eine Rolle für die Beurteilung spielen kann. Es beschränkt die Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung auch nicht auf Fälle, in denen eine im Vergleich zum Vorjahr schlechtere Leistungsbeurteilung angestrebt wird.
Schwerwiegend aus Arbeitgebersicht ist auch, dass das Gericht sich wohl nur aus formalen Gründen gehindert sah, die Entscheidung des Arbeitgebers über die Veränderung der Leistungszulage solange auszusetzen, bis die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nachgeholt wurde und deshalb nur über den als Hilfsantrag gestellten Feststellungsantrag entscheiden konnte. Die Praxis wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit darauf einstellen müssen, zukünftig allgemein Schwerbehindertenvertretungen nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ordnungsgemäß zu beteiligen, wenn Entscheidungen über Leistungsbeurteilungen mit finanziellen Folgen anstehen, die auch Schwerbehinderte oder diesen Gleichgestellte betreffen, sofern nach den Beurteilungskriterien für die Leistungsbeurteilungen nicht auszuschließen ist, dass Personen aus dieser Gruppe aufgrund ihrer Behinderungen schlechter abschneiden als andere. Die erfolgte Leistungsbeurteilung dürfte ansonsten zumindest vorläufig nicht umgesetzt werden. Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn diese bei den schwerbehinderten Menschen oder Gleichgestellten schlechter ausgefallen wäre als in der Vergangenheit.