Am 1. September hat das Bundeskabinett eine erneute Änderung der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchV) beschlossen, die am 10. September 2021 in Kraft treten und voraussichtlich bis zum 24. November 2021 gelten wird (hier abrufbar). Diese enthält zwei wesentliche Neuerungen:
Berücksichtigung des Impf- oder Genesungsstatus
Ab dem 10. September 2021 dürfen Arbeitgeber auch „offiziell“ einen ihnen bekannten Impf- oder Genesungsstatus der Beschäftigten bei der Festlegung und Umsetzung der Maßnahmen des betrieblichen Infektionsschutzes berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 Satz 4 Corona-ArbSchV-E). Dies war nach Auffassung des BMAS auch zuvor schon zulässig, soweit Kontakte ausschließlich zwischen vollständig Geimpften bzw. Genesenen stattfinden (siehe hierzu Ziff. 1.6 der FAQs des BMAS).
Die von Arbeitgebern ersehnte Auskunftsverpflichtung der Beschäftigten über ihren Impf- bzw. Genesungsstatus ist nicht eingeführt worden. Das BMAS stellt in der Verordnungsbegründung und auf seiner Homepage noch einmal ausdrücklich klar, dass eine Auskunftspflicht der Beschäftigten nicht besteht (zur Auskunftspflicht siehe den ausführlichen Blog-Beitrag des Kollegen Niklas). Das ist bedauerlich, da die Ausgestaltung betrieblicher Hygienekonzepte hierdurch deutlich erschwert bzw. zum Teil unmöglich gemacht wird. Solange der Status einzelner Beschäftigter nicht bekannt ist, werden Arbeitgeber auch die übrigen betrieblichen Kontaktpersonen in der Regel nicht von einschränkenden Maßnahmen wie der Maskenpflicht befreien dürfen. Sonderregelungen für immunisierte Personen können den Betriebsfrieden gefährden. Es bleibt daher zu hoffen, dass in Kürze eine gesetzliche Auskunftspflicht der Arbeitnehmer eingeführt wird; laut Regierungssprecher Seibert wird dies derzeit geprüft.
Soweit der Impf- bzw. Genesungsstatus aufgrund freiwilliger Auskünfte der Beschäftigten bekannt ist, können Arbeitgeber ihr Hygienekonzept anpassen. Dabei darf – so auch die Verordnungsbegründung – zwischen bestimmten Arbeitsbereichen und Teams differenziert werden. So wird man z.B. die Maskenpflicht in Bereichen im Betrieb entfallen lassen können, in denen sich ausschließlich immunisierte Personen aufhalten. Auch wird man Zusammenkünfte in Besprechungs- und Pausenräumen für immunisierte Personen wieder großzügiger zulassen können.
Ein gewisses Spannungsverhältnis besteht allerdings zwischen § 2 Abs. 1 Satz 4 Corona-ArbSchV-E und § 3 Corona-ArbSchV. Der Verordnungsgeber hat die Regelung im Zuge der Überarbeitung der Corona-ArbSchV nicht angepasst. Nach § 3 Satz 1 Corona-ArbSchV sollen betriebsbedingte Kontakte weiterhin reduziert werden. Nach Satz 2 ist die gleichzeitige Nutzung von Räumen durch mehrere Personen auf das betriebsnotwendige Minimum zu reduzieren. In der Begründung der CoronaArbSchV vom 25.06.2021 hieß es dazu, dass betriebsbedingte Zusammenkünfte auf das „absolut betriebsnotwendige Maß“ zu beschränken seien; die Vorschrift ist also durchaus eng auszulegen. Aber wann ist eine persönliche Zusammenkunft in Zeiten von Microsoft Teams & Co. noch absolut betriebsnotwendig?
Letztlich sollten Arbeitgeber noch eine gewisse Zurückhaltung walten lassen und stets Personenzahl und Raumgröße im Blick behalten. Jedenfalls für geimpfte und genesene Personen können Besprechungen und andere Zusammenkünfte m.E. jedoch wieder ohne größere Einschränkungen, insbesondere ohne Maskenpflicht, zugelassen werden. Vorsorglich sollten die Zusammenkünfte von angemessenen Schutzmaßnahmen, z.B. regelmäßigen Lüftungsintervallen, begleitet werden.
Freistellung zur Impfung
Ab dem 10. September 2021 müssen Arbeitgeber den Beschäftigten ermöglichen, sich während der Arbeitszeit gegen das Coronavirus impfen zu lassen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Corona-ArbSchV-E). Zunächst einmal folgt aus der Regelung lediglich ein Freistellungsanspruch der Beschäftigten zur Wahrnehmung des Impftermins. Eine andere Frage ist, ob die Freistellung bezahlt oder unbezahlt zu erfolgen hat. Diese Frage beantwortet die Verordnung nicht. Allerdings geht die Verordnungsbegründung bei der Beschreibung des Erfüllungsaufwands für die Wirtschaft von 310,4 Millionen Euro Lohnkosten aus, die durch die eingeführte Verpflichtung zur Ermöglichung einer Schutzimpfung während der Arbeitszeit für die Geltungsdauer der Verordnung entstehen. Der Verordnungsgeber geht also davon aus, dass Arbeitgeber die Beschäftigten bezahlt freizustellen haben. Dafür spricht auch, dass es dessen erklärtes Ziel ist, die Impfquote zu erhöhen. Würde den Beschäftigten der Gang zum Hausarzt oder Impfzentrum vom Gehalt abgezogen, würde dies viele Ungeimpfte von der Impfung abhalten. Es ist daher davon auszugehen, dass Arbeitgeber die Ausfallzeiten für die beiden Impftermine vergüten müssen. Die Beschäftigten trifft allerdings m.E. gemäß § 241 Abs. 2 BGB die Pflicht, die Ausfallzeiten möglichst gering zu halten.
Weitere Regelungen
Ferner müssen Arbeitgeber nach dem neuen § 5 Corona-ArbSchV-E
- die Betriebsärzte, die Corona-Schutzimpfungen durchführen, organisatorisch und personell unterstützen,
- die Beschäftigten über die Gesundheitsgefährdung einer Erkrankung mit COVID-19 aufklären und
- die Beschäftigten über die Möglichkeit einer Schutzimpfung informieren.
Informationen über die Gefahren von COVID-19 und die Möglichkeit der Impfung sind daher zukünftig in die arbeitsschutzrechtliche Unterweisung gemäß § 12 ArbSchG einzubeziehen.
Wenn Arbeitgeber Werbung für eine Schutzimpfung im Betrieb machen, ist Vorsicht geboten. Auch ein medizinischer Standardeingriff wie eine Impfung gegen das Coronavirus kann zu gesundheitlichen Schäden führen und damit zur Haftungsfalle für den Arbeitgeber werden. So hatte sich das BAG im Jahr 2017 mit der Frage zu befassen, ob ein Arbeitgeber Ersatz für materielle und immaterielle Schäden nach einer Grippeimpfung leisten muss (Urteil vom 21.12.2017 – 8 AZR 853/16, ArbRB 2018, 162 [Hülbach]). Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten ein Behandlungsvertrag i.S.d. §§ 630a ff. BGB zustande kommt und der Arbeitgeber die danach erforderliche Aufklärung über die Risiken der Impfung unterlässt. Das BAG hat das Zustandekommen eines Behandlungsvertrags im konkreten Fall verneint, weil der Impfaufruf allein durch die Betriebsärztin erfolgt war. Auch § 241 Abs. 2 BGB verpflichte lediglich zur ordnungsgemäßen Auswahl der die Impfung durchführenden Person. Arbeitgeber müssen daher darauf achten, jeden Anschein eines Behandlungsvertrags mit den Beschäftigten zu vermeiden und sollten die Impfung durch die Betriebsärzte bzw. extern beauftragten Ärzte selbstständig organisieren und durchführen lassen.
Testangebotspflicht bleibt
Weitere Neuerungen enthält die neue Fassung der Corona-ArbSchV nicht. Insbesondere bleiben Arbeitgeber verpflichtet, Beschäftigten, die nicht ausschließlich im Homeoffice arbeiten, zweimal pro Kalenderwoche kostenfrei einen Coronatest anzubieten. Die betriebliche Testangebotspflicht wird die kostenfreien Bürgertestungen also voraussichtlich überdauern. So können sich alle Arbeitnehmer, die nicht nachgewiesenermaßen geimpft oder genesen sind, weiterhin auf Kosten des Arbeitgebers testen lassen – also auch diejenigen, die geimpft sind, dies aber nicht preisgeben wollen.