In der Februar-Ausgabe des ArbRB (ArbRB 2022, 57) haben wir dargestellt, was bei der Beschäftigung ausländischer Mitarbeiter zu berücksichtigen ist, welche Fallstricke es gibt und wie sich Haftungsrisiken insbesondere durch illegale Ausländerbeschäftigung vermeiden lassen.
Als wir den Beitrag geschrieben haben, konnten wir noch nicht ahnen, was wenige Wochen später auf uns zukommen würde: Infolge der russischen militärischen Invasion der Ukraine baut sich an den östlichen Grenzen der Europäischen Union ein stetig wachsender Migrationsdruck auf. Aktuellen Schätzungen zufolge erwartet die Europäische Union je nach weiterer Entwicklung des bewaffneten Konflikts zwischen 2,5 Millionen und 6,5 Millionen Vertriebene aus der Ukraine.
Abgesehen von primären Fragen zur Linderung des humanitären Leids sowie zur Sicherheit in Europa wirft diese Situation auch Fragen rund um den Zugang zum Arbeitsmarkt auf, die früher oder später für Arbeitgeber relevant werden.
Die wichtigsten Fragen wollen wir in diesem Update zu unserem Beitrag „Beschäftigung ausländischer Mitarbeiter“ (ArbRB 2022, 57) beantworten:
Welchen Aufenthaltsstatus haben aus der Ukraine Geflüchtete bei Ankunft in Deutschland?
Grundsätzlich sind ukrainische Staatsangehörige für Aufenthalte von 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen von der Visumpflicht befreit (Art. 4 Visa-VO i.V.m. Anhang II). Diese Visumbefreiung gilt normalerweise jedoch nur für Inhaber biometrischer Reisepässe.
Aufgrund der Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung des Bundesministeriums des Innern vom 07. März 2022 (UkraineAufenthÜV) sind jedoch auch ukrainische Staatsangehörige, die keinen biometrischen Pass besitzen, für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit.
Zudem kann angesichts der Ausnahmesituation der visumfreie Kurzaufenthalt um weitere 90 Tage verlängert werden.
Aber Achtung: Eine Erwerbstätigkeit ist in dieser Phase nicht gestattet!
Welche Optionen eröffnet die sog. Massenzustrom-Richtlinie?
Bei der sog. Massenzustrom- bzw. Schutzgewährungs-Richtlinie (Richtlinie 2001/55/EG) handelt es sich um eine Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft aus dem Jahre 2001 zur Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen. Hintergrund waren die Jugoslawienkriege und die damit verbundenen Erfahrungen der Mitgliedstaaten mit der hohen Anzahl Vertriebener aus dem ehemaligen Jugoslawien. Mit der Massenzustrom-Richtlinie wurde ein Mechanismus geschaffen, der nach Aktivierung die schnelle und unkomplizierte Aufnahme Vertriebener außerhalb des Asylsystems ermöglicht.
In einem solchen Fall wird ein sofortiger vorübergehender Schutz für die Vertriebenen eingerichtet. Die Dauer des Schutzes beträgt ein Jahr, kann aber insgesamt um bis zu zwei Jahre verlängert werden.
In Deutschland wurde die Richtlinie durch den „Sonder-Aufenthaltstitel“ in § 24 AufenthG umgesetzt.
Das Bestehen eines Massenzustroms von Vertriebenen muss jedoch in einem Beschluss des Rates der Europäischen Union mit qualifizierter Mehrheit festgestellt werden, ehe § 24 AufenthG „aktiviert“ wird. In den letzten 21 Jahren ist dieser Fall nie eingetreten.
Eine Aktivierung ist erstmals infolge der Ukraine-Krise erfolgt.
Welche konkreten Auswirkungen ergeben sich hieraus für Vertriebene aus der Ukraine?
Den „Aktivierungs-Beschluss“ hat der Europäische Rat am 4. März 2022 getroffen, mit der Folge, dass seit dem 4. März in Deutschland Aufenthaltserlaubnisse nach § 24 AufenthG beantragt werden können.
Antragsberechtigt sind alle, die unter die vom Ratsbeschluss gefassten Personengruppen fallen. Hierzu gehören vor allem:
- ukrainische Staatsangehörige, die vor dem 24. Februar 2022 ihren Aufenthalt in der Ukraine hatten,
- Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine internationalen Schutz oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben,
- Familienangehörige der ersten beiden genannten Personengruppen, auch wenn sie nicht ukrainische Staatsangehörige sind.
Darüber hinaus sind unter bestimmten Voraussetzungen auch Staatsangehörige anderer Drittländer erfasst, die sich vor dem 24. Februar 2022 mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine aufgehalten haben.
Kann ich Geflüchtete aus der Ukraine mit einem Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG beschäftigen?
Die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG berechtigt nicht bereits bei Erteilung zur Ausübung einer Beschäftigung (§ 24 Abs. 6 AufenthG). Diese kann jedoch (Ermessen der Ausländerbehörde) erlaubt werden.
Es ist fraglich, ob dieses eingeräumte Ermessen mit Art. 12 der Richtlinie in Einklang zu bringen ist, wonach nicht nur die selbstständige Erwerbstätigkeit, sondern auch die Ausübung einer abhängigen Erwerbstätigkeit zu gestatten ist.
Jedenfalls aber hat das Bundesinnenministerium die dringende Empfehlung an die Länder gegeben, bereits bei Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in den Aufenthaltstitel einzutragen, dass die Beschäftigung erlaubt ist, auch wenn noch kein konkretes Beschäftigungsverhältnis in Aussicht steht.
Sollte der Aufenthaltstitel also eine solche Nebenbestimmung enthalten, so steht einer sofortigen Aufnahme der Beschäftigung nichts entgegen.
Anderenfalls sollte von einer Beschäftigung abgesehen und zuvor eine Klärung mit der Ausländerbehörde herbeigeführt werden, um das Risiko einer illegalen Ausländerbeschäftigung zu vermeiden.
Können Geflüchtete aus der Ukraine auch einen anderen Aufenthaltstitel zum Zwecke der Erwerbstätigkeit beantragen?
Ja, ukrainische Staatsangehörige und andere Drittstaatsangehörige, die aus der Ukraine nach Deutschland geflohen sind, sind von der Voraussetzung mit einem entsprechenden Visum einzureisen, befreit. Sie können somit einen für die Erwerbstätigkeit erforderlichen Aufenthaltstitel ausnahmsweise direkt bei der örtlich zuständigen Ausländerbehörde in Deutschland beantragen.
Rechtsanwältin Shinta Zafiraki Sanyoto, Kanzlei SZS, https://kanzlei-szs.de/, und
RA FAArbR Dr. Frederik Möller, MÖLLER Arbeitsrecht, https://www.moeller-arbeitsrecht.de/