Eine weitere Rechtsfrage hinsichtlich des beA ist nun geklärt, zumindest unterinstanzlich (ArbG Stuttgart, Beschl. v. 25.2.2022 – 4 Ca 688/22).
Und dies bedeutet erfreulicherweise: Aufatmen für alle Nutzer:innen des beA!
Das Problem
Die Beklagtenvertreterin einigte sich mit dem Klägervertreter außerhalb des Prozesses. Beide übersandten einen gleichlautenden Schriftsatz per beA mit der Bitte, den Vergleichsvorschlag durch gerichtlichen Beschluss festzustellen (§ 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. §§ 495, 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO). Der Klägervertreter übersandte seinen Schriftsatz mit qualifizierter elektronischer Signatur. Die Beklagtenvertreterin versandte ihren Schriftsatz aus dem eigenen beA-Postfach, jedoch nur mit einfacher Signatur.
Das Gericht hatte nun zu prüfen, ob der Vergleich zu beschließen war, d. h. ob die einfache Signatur der Beklagtenvertreterin ausreichend war.
Ausgangspunkt hierfür war § 278 Abs. 6 S. 1 Var. 1 und Abs. 2 ZPO. Danach kann ein gerichtlicher Vergleich auch dadurch geschlossen werden, dass die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten und das Gericht dessen Inhalt durch Beschluss feststellt. Es kam daher darauf an, ob in der Formulierung „durch schriftlichen Vergleichsvorschlag“ ein materielles Schriftformerfordernis i.S.d. §§ 126, 126a BGB zu sehen ist.
Wäre dies der Fall, wäre der nur einfach signierte Vergleichsvorschlag der Beklagtenvertreterin unzureichend gewesen. Denn nur eine qualifizierte elektronische Signatur ersetzt nach § 126a BGB die materielle Schriftform des § 126 BGB.
[Anmerkung: Von der materiellen Schriftformer gem. §§ 126, 126a BGB zu unterscheiden ist die prozessuale Schriftform gem. § 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ArbGG bzw. § 130a Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ZPO. Zur Erfüllung der prozessualen Schriftform bestehen zwei gleichrangige Alternativen:
- Die qualifizierte elektronische Signatur (erfüllt zugleich auch die materielle Schriftform).
- Die einfache Signatur (z. B. maschinell aufgedruckter Namenszug) und die Einreichung über einen sicheren Übermittlungsweg (= eigenes beA-Postfach).]
Wie hat das Gericht entschieden?
Das ArbG Stuttgart entschied zugunsten der Beklagtenvertreterin. § 278 Abs. 6 S. 1 ZPO schreibe nicht die materielle Schriftform i.S.v. §§ 126, 126a BGB vor. Vielmehr verlange die Norm nur, dass die prozessuale Schriftform eingehalten werde. Der Vergleichsvorschlag der Beklagtenvertreterin mit einfacher Signatur über einen sicheren Übermittlungsweg sei ausreichend gewesen (§ 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ArbGG, bzw. § 130a Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ZPO).
Gegenteiligen Stimmen in der Literatur erteilte das Gericht eine Absage.
Die Argumente der Literatur:
- 278 Abs. 6 Satz 1 ZPO unterscheide sprachlich zwischen „schriftlich“ (Var. 1) und „durch Schriftsatz“ (Var. 2). „Schriftlich“ i. S. d. Var. 1 müsse daher als materielles Schriftformerfordernis verstanden werden.
- Zudem sei ein Vergleichsvorschlag neben einer Prozesshandlung auch eine materiell-rechtliche Willenserklärung. Vor diesem Hintergrund könne „schriftlich“ nur als materielles Schriftformerfordernis verstanden werden.
Die Gegenargumente des ArbG Stuttgarts:
- Der Wortlaut des § 278 Abs. 6 Satz 1 ZPO sei sprachlich missglückt. In der Gesetzesbegründung seien keine Anhaltspunkte zu finden, dass eine Differenzierung und die materielle Schriftform in Var. 1 gewollt sei.
- Auch der Sinn und Zweck der Norm bestätige dies. § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO sei eingeführt worden, um den prozessualen Alltag zu vereinfachen. Vor der Einführung musste das Gericht auch einen durch die Parteien ausgehandelten Vergleich nochmals zur Annahme unterbreiten. Die Norm habe ausschließlich einen prozessualen Hintergrund und sei daher in diesem Lichte auszulegen.
- Schließlich spreche auch der Wille des Gesetzgebers für diese Auslegung. Hinsichtlich materiell-rechtlicher Erfordernisse verweise die Gesetzesbegründung ausdrücklich auf § 779 BGB. Zudem wäre es Rechtsanwält:innen ab dem 01.01.2022 nicht mehr möglich, ausschließlich mit der beA-Basiskarte ohne Signaturzertifikat, einen Vergleichsvorschlag wirksam einzureichen.
Das Ergebnis:
Die Beklagtenvertreterin durfte aufatmen; ihr Vergleichsvorschlag mit einfacher Signatur reichte aus.
Konsequenzen für die Praxis
Die Entscheidung lässt ebenso alle beA-Nutzer:innen aufatmen. Als erste Entscheidung zu diesem Thema ist das Urteil von enormer praktischer Bedeutung. Um einen wirksamen Vergleichsvorschlag einzureichen, stehen Rechsanwält:innnen weiterhin beide Varianten des § 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ArbGG bzw. § 130a Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ZPO alternativ zur Verfügung. Eine gegenteilige Entscheidung hätte zur Folge, dass die beA-Nutzung stark eingeschränkt und verkompliziert würde. Jenseits dieser praktischen Erwägungen überzeugt die Entscheidung auch in ihrer Begründung und verdient voll und ganz Zustimmung.
Beraterhinweis
Leider ist nicht auszuschließen, dass ein anderes Gericht abweichend entscheidet. Vor diesem Hintergrund führt das Arbeitsgericht in seinen Gründen aus, dass es eine Klarstellung durch den Gesetzgeber aus dem Aspekt der Rechtssicherheit für dringend geboten hält. Auch dem ist zuzustimmen. Ich sehe die Entscheidung jedoch bereits jetzt als alternativlos. Um das Risiko aus anwaltlicher Vorsicht zu minimieren und vor allem, um zeitraubende Diskussionen zu umgehen, empfiehlt es sich dennoch, einen Vergleichsvorschlag stets qualifiziert signiert einzureichen.