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ArbRB-Blog

Arbeitszeiterfassung und Überstundenvergütung – Die unterschätzte Erleichterung der Darlegungslast

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Bekanntlich hat das BAG angenommen, dass Arbeitgeber nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet sind, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen, sofern der Gesetzgeber keine abweichende Regelung getroffen hat. (BAG v. 13.9.2022 – 1 ABR 22/21, ArbRB 2023, 9 [Hülbach]). Mit dieser Entscheidung setzt das BAG ein Urteil des EuGH vom 14.5.2019 – C-55/18 – CCOO (ArbRB 2019, 162 [Marquardt]) gleichsam in nationales Recht um. Nicht vollständig geklärt ist bisher, welche Auswirkungen diese Rechtsprechung des BAG zur Arbeitszeiterfassung hat.

Auf die Verteilung der Darlegungslast und Beweislast in einem Verfahren, das die Vergütung von Überstunden zum Streitgegenstand hat, hat die Rechtsprechung des EuGH allerdings keinen Einfluss. Dies hat das BAG in zwei Entscheidungen jüngst eindeutig entschieden (BAG v. 4.5.2022 – 5 AZR 359/21, ArbRB 2022, 63 [Lunk]; BAG v. 5.4.2022 – 5 AZR 474/21). Dieser Rechtsprechung ist zuzustimmen, da der EuGH allein die arbeitsschutzrechtliche Bedeutung der Arbeitszeiterfassung und nicht deren vergütungsrechtlichen Auswirkungen beleuchtet hat und auch nicht beleuchten durfte. Allerdings hat das Gericht – von der Praxis bisher kaum bemerkt – die Anforderungen an die Darlegungslast bei einer bestimmten Vertragsregelung verringert. Hierauf muss bei der Vertragsgestaltung geachtet werden.

Grundsätzlich muss der Arbeitnehmer darlegen und – im Bestreitensfall – beweisen (BAG v. 4.5.2022 – 5 AZR 359/21, ArbRB 2022, 63 [Lunk]; sehr anschaulich Tiedemann, ArbRB 2022, 348 ff.):

  • die Anzahl der Ãœberstunden (An welchen Tagen hat der Arbeitnehmer von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten?)
  • die Veranlassung der Ãœberstunden durch den Arbeitgeber (Die Ãœberstunden müssen vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sein.)

In der anderen Entscheidung vom selben Tag hat das BAG dann aber die Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitnehmers verringert (BAG v. 5.4.2022 – 5 AZR 474/21).

Die Darlegung einer Ãœberstundenleistung und die Darlegung ihrer arbeitgeberseitigen Veranlassung können demnach nicht stets strikt voneinander getrennt betrachtet werden, sie sollen sich im Einzelfall auch „überlappen“ und gegenseitig bedingen können. Ist vom Arbeitnehmer die Ãœberstundenleistung nebst den betrieblichen Ursachen für die Ãœberschreitung der Normalarbeitszeit substantiiert vorgetragen, macht er demnach zugleich ausreichend die Erforderlichkeit der Ãœberstundenleistung zur Aufgabenerledigung und zumindest eine konkludente Anordnung geltend. Der Arbeitgeber, will er dem wirksam entgegentreten, hat konkret darzulegen, aus welchen Gründen diese Ursachen für die Ãœberstundenleistung nicht vorgelegen haben oder warum der Arbeitnehmer seine Arbeitsaufgaben in der Normalarbeitszeit hätte erledigen können.

Ist dies für den Arbeitgeber schon schwer genug, kommt dem Arbeitnehmer außerdem eine in der Praxis übliche Vertragsgestaltung entgegen. Arbeitgeber vereinbaren häufig mit Arbeitnehmern hinsichtlich der Vergütung von Überstunden Pauschalierungen.

Musterformulierung (Preis, Der Arbeitsvertrag, M 20 II 1 Rz. 32) 

Herr/Frau … erhält als Grundgehalt monatlich 1 500,00 Euro brutto. Zur Abgeltung etwaiger Ãœberstunden erhält Herr/Frau … zusätzlich eine Pauschale von …. Euro, die ausgehend vom Grundgehalt monatlich bis zu …. Ãœberstunden abgelten soll. Die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden werden mindestens in Höhe des jeweiligen gesetzlichen Mindestlohns nach Maßgabe des § 1 MiLoG vergütet.

In dem vom BAG entschiedenen Fall war allerdings die Klausel unwirksam, da der Arbeitgeber keine bestimmte Zahl von Überstunden vereinbart hatte, sondern allgemein „in vertretbarem Umfang anfallende Überstunden“ in die Vergütung einbeziehen wollte. Eine solche Klausel genügt als allgemeine Vertragsbedingung nicht dem Transparenzgebot und ist deshalb unwirksam (§ 307 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB), weil der Arbeitnehmer mit der Formulierung „in vertretbarem Rahmen anfallende Überstunden“ nicht weiß, was ggf. „auf ihn zukommt“ und welche Leistung er in zeitlicher Hinsicht maximal für die vereinbarte Vergütung erbringen muss. Als Individualabrede ist sie nicht hinreichend bestimmt und damit auch dann unwirksam.

Aus einer solchen Klausel schließt das BAG unabhängig von deren Wirksamkeit, dass der Arbeitgeber bei den dem Arbeitnehmer obliegenden Arbeiten mit dem Anfall von Überstunden durchaus rechnet und „bei Bedarf“ die Leistung von Überstunden auch erwartet. Damit soll eine solche Klausel geeignet sein, beim Kläger den Eindruck zu erwecken, der Arbeitgeber billige grundsätzlich die Leistung von Überstunden.

Für die Praxis stellt sich deshalb die Frage, wie man in der Vertragsgestaltung reagieren soll. Denkbar ist zunächst, auf eine derartige Pauschalierungsabrede zu verzichten. Hierfür spricht bei tarifgebundenen Unternehmen, das dann übertarifliche Zahlungen vorliegen, die gegebenenfalls – wenn keine sonstige Zweckbestimmung ersichtlich ist – mit Tariflohnerhöhungen unter Beachtung etwaiger Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verrechnet werden können. Dies eröffnet einen finanziellen Spielraum.

Will man eine – wirksame – Pauschalierungsabrede im Zusammenhang mit Überstundenvergütungen vereinbaren, sollte man gleichzeitig vorsehen, unter welchen Voraussetzungen derartige Überstunden vom Arbeitgeber tatsächlich gebilligt werden, um damit den vom BAG angenommenen Anschein der Billigung zu beseitigen.

Musterformulierung (vgl. Preis, Der Arbeitsvertrag, M 20 II Rz. 17): 

Ein Anspruch auf Über- oder Mehrarbeitsstundenabgeltung besteht trotz der in diesem Vertrag für Überstunden getroffenen Pauschalierungsabrede nur,

  • wenn die Ãœber- oder Mehrarbeitsstunden angeordnet oder
  • vereinbart worden sind oder
  • wenn sie aus dringenden betrieblichen Interessen erforderlich waren und der Arbeitnehmer Beginn und Ende der Ãœber-/Mehrarbeit spätestens am folgenden Tag der Geschäftsleitung schriftlich anzeigt und die Ãœber- oder Mehrarbeitsstunden vertraglich genehmigt werden.

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Hinweis der Redaktion:  Lesen Sie zum Thema auch unser großes Online-Dossier zur neuen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung.

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