Das LAG Baden-Württemberg hat sich vor wenigen Tagen mit der Frage befasst, ob der Betriebsrat nach § 99 BetrVG zu beteiligen ist, wenn es um die Vergütung eines (oder mehrerer) seiner Mitglieder geht (zu den allg. Voraussetzungen des § 99 Abs. 1 BetrVG bei der Eingruppierung siehe HWK/Ricken,10. Aufl. 2022, § 99 BetrVG Rn. 25). Es hat ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats mit Beschluss vom 26.5.2023 (12 TaBV 1/23) abgelehnt (s. ArbRB-News). Mitglieder des Betriebsrats übten aufgrund der Freistellung keine Tätigkeiten aus, die in Anwendung einer einschlägigen kollektiven Vergütungsordnung im Sinne einer Eingruppierung bzw. Umgruppierung bewertet werden könnten. Die Ermittlung des Vergleichsentgelts und die hierauf erfolgte Vergütungskürzung beruhten vielmehr auf einer bloßen Durchschnittsberechnung der von anderen Arbeitnehmern bezogenen Vergütung.
Das LAG Baden-Württemberg folgt damit im Ergebnis einer früheren Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 19.3.2019 (8 TaBV 70/18, ArbRB Online). Ansprüche eines freigestellten Betriebsratsmitglieds aus §§ 37 Abs. 4, 78 S. 2 BetrVG seien individualrechtlicher Natur und könnten nicht vom Betriebsrat über § 101 BetrVG im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren geltend gemacht werden.
Die Erwägungen des LAG Baden-Württemberg in der inzwischen vollständig veröffentlichten Entscheidung vom 26.5.2023 sind lesenswert; insoweit hebt sich der Beschluss von dem des LAG Düsseldorf vom 19.3.2019 ab. Inzwischen hat sich auch das Sächsische LAG mit Beschluss vom 21.2.2023 (3 TaBV 26/21, Juris) zu dieser Frage geäußert und, soweit ersichtlich, als erstes LAG ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG bejaht. Dem Betriebsrat stehe zwar im Hinblick auf die Beurteilung der betriebsüblichen beruflichen Entwicklung kein Mitbestimmungsrecht zu, jedoch hindere dies nicht das Bestehen des Mitbestimmungsrechts aus § 99 Abs. 1 BetrVG bei Ein-/Umgruppierungen.
Diese Frage ist relevant in den Fällen, in denen Arbeitgeber im Anschluss an die Entscheidung des BGH vom 10.1.2023 (6 StR 133/22, ArbRB online = ArbRB 2023, 108 [Grimm]) die Vergütungen der Mitglieder von Betriebsräten überprüft und (teilweise) an die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer (nach unten) angepasst haben. Jede Entscheidung hat sich insoweit zwischen den Leitplanken des Begünstigungsverbots und des Benachteiligungsverbots zu halten, insoweit wäre im Grundsatz eine Mitbeurteilung durch den Betriebsrat (mit Ausnahme des betroffenen Betriebsratsmitglieds) im Rahmen des § 99 BetrVG zu begrüßen. Einen Gesichtspunkt, nämlich den der Strafbarkeit, sehen das Sächsische LAG und das LAG Baden-Württemberg sehr unterschiedlich.
Die strafrechtliche Relevanz der zutreffenden Ermittlung der an Betriebsratsmitglieder zu zahlenden Vergütung spricht nach Ansicht des Sächsischen LAG „eher für als gegen die Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens nach § 99 BetrVG, denn insbesondere nach Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens dürfte für den Tatbestand der Untreue mangels Vorsatz kein Raum mehr sein“. Demgegenüber hat das LAG Baden-Württemberg „bereits grundsätzliche Bedenken, ein Beteiligungsrecht des Betriebsrats davon abhängig zu machen, ob ein Arbeitgeber mit einer Maßnahme sein […] Strafbarkeitsrisiko reduzieren will oder dies keine Rolle spielt. Eine derartige Annahme müsste in letzter Konsequenz dazu führen, dass selbst bei einem unstreitig bestehenden Beteiligungsrecht dieses zurücktreten müsste, sofern dem Arbeitgeber aufgrund der (temporären) Aufrechterhaltung des status quo ein (fortgesetztes) Strafbarkeitsrisiko droht. Dies wäre mit dem Sinn und Zweck der Beteiligungsrechte des BetrVG indes regelmäßig kaum vereinbar“.
Gegen den Beschluss des Sächsischen LAG wurde inzwischen Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht erhoben. Es bleibt abzuwarten, ob der Betriebsrat gegen den Beschluss des LAG Baden-Württemberg ebenfalls Rechtsbeschwerde einlegt. Eine Klärung dieser grundsätzlichen Rechtsfrage durch das BAG ist jedenfalls wünschenswert.
RA FAArbR Axel Groeger
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