Arbeitgeber, die tarifgebunden sind, müssen darauf vertrauen können, dass die in Tarifverträgen festgelegten Arbeitsbedingungen bestehen bleiben, bis ein neuer Tarifabschluss erfolgt. Nur dies ermöglicht ihnen eine zuverlässige finanzielle Kalkulation. Dieses Interesse hat das BAG in einer Entscheidung vom 5.10.2023 – 6 AZR 333/22 – berücksichtigt.
Die Klägerin hatte die Höhe des für sie geltenden tarifvertraglichen Arbeitsentgelts mit der Begründung beanstandet, die entsprechende Tarifnorm beeinträchtige sie in der durch Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützte Berufsfreiheit. Dem widerspricht das höchste deutsche Arbeitsgericht mit deutlichen Worten.
Die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit bewahrt Arbeitnehmer nicht vor jeder Regelung der Tarifvertragsparteien, die Arbeitsbedingungen, zu denen auch das Arbeitsentgelt gehört, beeinflussen. Vielmehr muss die Anwendung der Regelung eine nennenswerte Beeinträchtigung der Berufsausübung zur Folge haben. Dies wird nur äußerst selten der Fall sein.
Zutreffend weist das Gericht außerdem darauf hin, dass das Verständnis der Klägerin, die Höhe des Tarifentgelts sei an der verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit zu messen, mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie kollidiert. Danach gehört das Aushandeln von Tarifverträgen zu den wesentlichen Zwecken der Tarifvertragsparteien. Hierin sollen sie nach dem Willen des Gesetzgebers frei sein. Der Staat enthält sich in diesem Betätigungsfeld grundsätzlich einer Einflussnahme und überlässt die erforderlichen Regelungen der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zum großen Teil den Koalitionen, die sie autonom durch Vereinbarung treffen.
Tarifliche Entgeltregelungen, so das BAG zutreffend, enthalten einen Kompromiss hinsichtlich der unterschiedlichen Vorstellungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern über die Wertigkeit einer bestimmten Tätigkeit. Das schließt auch die Befugnis zu Entgeltregelungen ein, die den Betroffenen als ungerecht und Außenstehenden nicht als zwingend sachgerecht erscheinen. Darum können nach Auffassung des BAG tarifliche Entgeltregelungen den Schutzbereich der Berufsfreiheit allenfalls dann berühren, wenn sie deren existenziellen Kern betreffen.
Es stellt sich die Frage, ob dies bei Entgeltregelungen überhaupt jemals der Fall sein kann. Die Mitarbeiter sind durch das Mindestlohngesetz (MiLoG) geschützt. Unabhängig von der tarifvertraglich vereinbarten Höhe des Entgelts schulden Arbeitgeber diesen Mindestlohn in jedem Fall, notfalls müssen sie das zu geringe Tarifentgelt bis zum Mindestlohn aufstocken (ausf. Kleinebrink, Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12,00 €, DB 2022, 2279).
Die Entscheidung des BAG betont erfreulicherweise die Bedeutung der Tarifautonomie bei der Festlegung der Arbeitsbedingungen. Dies sieht das Gericht nicht immer so. Die Höhe tarifvertraglicher Nachtarbeitszuschläge hat das Gericht teilweise beanstandet. Es bleibt zu hoffen, dass das BVerfG die Gelegenheit nutzen wird, die Tarifautonomie in den insoweit noch bei ihm anhängigen Verfahren wieder stärken (s. Kleinebrink, Prüfung der Reichweite der Tarifautonomie durch das BVerfG – Der Krimi zu den tarifvertraglichen Nachtarbeitszuschlägen steht vor der letzten Folge, Blog-Beitrag vom 14.7.2023).