Erstinstanzliche Entscheidungen können insbesondere im Arbeitsrecht weitreichende Bedeutung haben, wenn sie geeignet sind, eine bewährte höchstrichterliche Rechtsprechung zu ändern und vom Arbeitgeber strategische Maßnahmen verlangen. Dies zeigt eine jüngst ergangene Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln (ArbG Köln v. 20.12.2023 – 18 Ca 3954/23, ArbRB online), die die Rechtsfrage betraf, ob auch vor einer fristgerechten Kündigung in der Wartezeit das Präventionsverfahren nach § 167 SGB IX durchzuführen ist.
Gegenstand des Präventionsverfahrens
Ein Arbeitgeber hat nach § 167 Abs. 1 SGB IX bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung, den Betriebsrat sowie das Integrationsamt einzuschalten und mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.
Folgen eines Verstoßes
Die Rechtsfolgen eines nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführten Präventionsverfahrens ergeben sich aus § 167 SGB IX nicht. Die Vorschrift findet sich auch nicht im Bußgeldkatalog des § 238 SGB IX. Allerdings sieht § 164 Abs. 2 SGB IX vor, dass Arbeitgeber schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen dürfen. Im Einzelnen gelten hierzu die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.
Dieses sieht in § 15 Abs. 1 AGG einen materiellen Schadensersatzanspruch des benachteiligten Schwerbehinderten und in § 15 Abs. 2 AGG einen Anspruch auf Ersatz eines immateriellen Schadens vor. Das Arbeitsgerichts Köln hingegen nimmt unter Hinweis auf eine Entscheidung des BAG (BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 237/14, ArbRB 2015, 196 m. Anm. Kappelhoff) an, dass eine Kündigung in der Wartezeit bei einem Verstoß gegen § 167 SGB IX nach § 134 BGB unwirksam ist.
Durchführung des Präventionsverfahrens in den ersten sechs Monaten eines Arbeitsverhältnisses?
Aus § 1 Abs. 1 KSchG folgt im Umkehrschluss, dass eine fristgerechte Kündigung, die in den ersten sechs Monaten eines Arbeitsverhältnisses zugeht, nicht daraufhin überprüft wird, ob sie sozial gerechtfertigt ist. Ergänzend beinhaltet § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX, dass bei einem schwerbehinderten Menschen das Integrationsamt nicht beteiligt werden muss, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ohne Unterbrechung noch nicht länger als sechs Monate bestanden hat. Folgerichtig hat das BAG angenommen, ein Arbeitgeber sei nicht verpflichtet, innerhalb dieser Wartezeit ein Präventionsverfahren durchzuführen (BAG v. 24.1.2008 – 6 AZR 96/07, ArbRB online).
Von dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung weicht das Arbeitsgericht Köln nun ab, weil der Wortlaut des § 167 SGB IX keine Einschränkung der Anwendbarkeit in den ersten sechs Monaten des Bestands eines Arbeitsverhältnisses enthält. Außerdem soll das vom Gericht gefundene Auslegungsergebnis europarechtlichen Vorgaben entsprechen. Verkannt wird hierbei, dass die dadurch eintretende Verzögerung dazu führen kann, dass ein Zugang der Kündigung in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses nicht mehr bewirkt werden kann. Die Bereitschaft, schwerbehinderte Menschen einzustellen, wird durch die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts Köln folglich – um es vorsichtig auszudrücken – nicht gerade gefördert. Europarechtliche Vorgaben haben gerade auch das Ziel, verstärkt schwerbehinderte Menschen in Arbeit zu bringen.
Die neue Strategie für Arbeitgeber
Arbeitgeber sollten vor diesem Hintergrund Schwerbehinderte nur noch befristet einstellen. Das Arbeitsverhältnis endet dann in jedem Fall, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Bei einem unbefristeten Arbeitsverhältnis sollte ein Arbeitgeber vorsorglich auch in der Wartezeit das Präventionsverfahren durchführen.