Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts plant eine wichtige Änderung in der Rechtsprechung zur Sorgfaltspflicht von Rechtsanwält:innen bei Fristsachen.
Neu: Prüfung der Vermerke in der Handakte ausreichend
Der Sechste Senat möchte sich der Linie des Bundesgerichtshofs (BGH) anschließen, die festlegt, dass Anwält:innen den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer eigenverantwortlich prüfen müssen, sobald ihnen die Akten für eine fristgebundene Verfahrenshandlung vorgelegt werden. Dies schließt auch die Überprüfung aller unerledigten Fristen und deren Notierung in den Handakten ein, wobei die Prüfung der Vermerke in der Handakte ausreicht, solange keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen (BGH 17. Mai 2023 – XII ZB 533/22; 19. Oktober 2022 – XII ZB 113/21).
Alt: Zwingende Prüfung des Fristenkalenders
Diese Herangehensweise weicht erheblich von der bisherigen Rechtsprechung des Ersten, Dritten, Achten und Neunten Senats des Bundesarbeitsgerichts ab. Bisher mussten Anwälte:innen bei der Vorlage der Handakten zur Anfertigung der Rechtsmittelschrift neben der Rechtsmittelfrist auch die ordnungsgemäße Notierung der Rechtsmittelbegründungsfrist im Fristenkalender kontrollieren (10. Januar 2003 – 1 AZR 70/02; 17. Oktober 2012 – 3 AZR 633/12; 31. Januar 2008 – 8 AZR 27/07, ArbRB 2008, 237 [Reufels]; 18. Juni 2015 – 8 AZR 556/14; 18. Januar 2006 – 9 AZR 454/04).
Divergenzanfrage
In einem aktuellen Verfahren (6 AZR 155/23) hat der Sechste Senat deshalb beschlossen, nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG anzufragen, ob die anderen Senate an ihrer bisherigen Rechtsauffassung festhalten. Bis zur Klärung dieser Divergenzanfrage wird das Verfahren gemäß § 148 ZPO ausgesetzt.
Fazit
Diese Neuausrichtung hat weitreichende Konsequenzen für die Praxis von Rechtsanwälte:innen und die Handhabung von Fristsachen. Sie erleichtert die Prüfung ganz erheblich und verringert damit das Haftungsrisiko.