Sogenannte „Freiwilligenprogramme“ stehen aktuell wieder einmal im Fokus der Aufmerksamkeit. Dahinter verbergen sich Stellenabbauprogramme, bei denen die konkret vom Abbau betroffenen Mitarbeiter zu Beginn noch nicht feststehen. Fest stehen meist lediglich Art und Anzahl der betroffenen Stellen. Bei einigen DAX-Konzernen sind dies aktuell einige Tausend. Oft sind dort betriebsbedingte Kündigungen aufgrund entsprechender kollektiver Vereinbarungen ausgeschlossen.
Die Unternehmen treten daher zunächst mit einer allgemeinen unverbindlichen Anfrage an den jeweiligen Teil der Belegschaft heran. Dort finden sich bereits die maßgeblichen Konditionen, insbesondere die Abfindungsformel. Diese Anfrage dient in einem ersten Schritt dazu, die jeweils individuelle Bereitschaft zum freiwilligen Ausscheiden festzustellen. Zeigt ein Mitarbeiter Interesse, prüft das Unternehmen jeweils konkret, ob es sich ein Ausscheiden dieses Mitarbeiters vorstellen kann. Nicht immer kommt es dann auch zu einem Angebot. (sogenannte „doppelte Freiwilligkeit“)
Nicht selten umfassen diese Programme gerade für langjährige Mitarbeiter Abfindungen in sechsstelliger Höhe. Dass dies natürlich Begehrlichkeiten weckt, wenn einem solchen Wunsch auf Ausscheiden nicht entsprochen wird, verwundert daher kaum. Vor allem bei Mitarbeitern, die kurz vor der Rente stehen oder keine Mühe haben, ein Anschlussarbeitsverhältnis zu finden.
Bereits in den ’00er Jahren durfte ich mich selbst in einem Verfahren mit einer Vielzahl rechtlicher Fragen auseinandersetzen, an dessen Ende schließlich die erste Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu dem Thema stand.
Seitdem hat sich vor allem auf der Europäischen Ebene einiges getan, so dass es sich lohnt, diese Fragen aktuell noch einmal kurz in den Blick zu nehmen.
1. Anspruch aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz?
In dem von mir damals auf Seiten der Beklagten begleiteten Verfahren (BAG vom 17.12.2009 – 6 AZR 242/09, ArbRB 2010, 70 [Schewiola]) hatten sich die Kläger in den Vorinstanzen pauschal auf den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz berufen. Anknüpfungspunkt dafür war das zunächst mittels Einzelschreiben auf alle grundsätzlich in Betracht kommenden Mitarbeiter ausgerollte „Freiwilligenprogramm“. Eine kollektive Grundlage wie bspw. eine Betriebsvereinbarung gab es dafür nicht.
In unserer Argumentation, der auch das Bundesarbeitsgericht schließlich folgte, hatten wir maßgeblich darauf abgestellt, dass die Beklagte sich die Entscheidung für den jeweiligen Einzelfall vorbehalten hatte und sie daher auch jeweils unterschiedlich begründen konnte. Da es insoweit an einem erkennbaren generalisierenden Prinzip fehlte, war der Vertragsfreiheit gegenüber dem Gleichbehandlungsgrundsatz der Vorrang zu geben.
Die bereits damals – nach Inkrafttreten des AGG – auch europarechtlich durchaus herausfordernde Frage, ob sich angesichts des ausnahmslos vorgerückten Alters der Kläger nicht unter dem Aspekt der Altersdiskriminierung ggf. ein abweichendes Ergebnis ergibt, mussten wir dort nicht rechtlich bespielen, denn die Kläger hatten dazu in den Vorinstanzen nicht vorgetragen.
2. Altersdiskriminierung?
Auch diese Frage hat das Bundesarbeitsgericht dann jedoch in einem weiteren Verfahren (BAG vom 25.2.2010 – 6 AZR 911/08, ArbRB 2010, 169 [Mues]) relativ zeitnah ebenfalls zu Lasten der dortigen Kläger entschieden. Dort war eine bestimmte, rentennahe Altersgruppe sogar explizit ausgeschlossen worden. Die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts stand dabei auf zwei Säulen:
Zum einen hat das Bundesarbeitsgericht die vorherige, auf die Vertragsfreiheit abzielende Begründung der Entscheidung vom 17.12.2009 ausdrücklich bestätigt.
Zum anderen hat es auch dem Argument der Altersdiskriminierung eine Absage erteilt. Tragendes Argument war dabei – unter Inbezugnahme der unionsrechtlichen Vorgaben und deren Umsetzung im AGG – dabei vor allem auch Folgendes:
Die Zielrichtung des unionsrechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung und seiner konkretisierenden Richtlinie 2000/78/EG liege vor allem auch darin, den Anteil älterer Arbeitnehmer an der Erwerbsbevölkerung besonders in den Blick zu nehmen. Der Zweck des Diskriminierungsverbots wegen des Alters sei somit durch den weiteren Verbleib älterer Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis vorliegend eher verwirklicht als beeinträchtigt.
3. 2024: Alles wie gehabt?
In den knapp eineinhalb Jahrzehnten hat sich insbesondere im Antidiskriminierungsrecht – nicht zuletzt aufgrund verschiedener Entscheidungen des EuGH – einiges getan. Erinnert sei nur bspw. an die im ArbRB-Blog bereits im letzten Jahr in den Blick genommene Entscheidung des 8. Senats des BAG vom 16.2.2023 – 8 AZR 450/21 (ArbRB 2023, 228 [Windeln]) – zur Entgeltgleichheit und die dort in Bezug genommene Entscheidung TESCO des EuGH vom 3.6.2021 – C-624/19 (ArbRB 2021, 231 [Einfeldt]).
Prozessual geraten dabei vor allem Fragen der mittelbaren Diskriminierung und der Darlegungs- und Beweislast immer mehr in den Blick, insbesondere auch bei Mitarbeitern im Vertrieb.
Nimmt man diese Ansätze wie auch die vorstehende Argumentation des 6. Senats aus 2010 in den Blick, so stellt sich die bspw. die Frage, wie eigentlich damit umzugehen wäre, wenn es im Rahmen eines solchen Programms faktisch zu einem überproportionalen Abbau von weiblichen Mitarbeiterinnen käme. Könnten sich dann nicht männliche Interessenten – wie die damaligen Kläger – auf eine geschlechterbezogene Ungleichbehandlung berufen? Und wäre dies nicht – anders als im damals 2010 entschiedenen Fall – nicht auch im Sinne der europarechtlichen diskriminierungsrechtlichen Vorgaben, den Anteil weiblicher Mitarbeiter an der Erwerbsbevölkerung zu erhöhen, zumindest nicht zu vermindern?
4. Fazit und „to do’s“
Das vorliegende, nur knapp skizzierte Beispiel führt aus meiner Sicht vor allem zu folgendem Fazit:
Nicht nur im Bereich der Entgeltgleichgleich wird es künftig vermehrt zu Spannungsfeldern zwischen der grundrechtlich abgesicherten Vertragsfreiheit und dem Gleichbehandlungsgrundsatz kommen. Wie letztlich der EuGH dieses Spannungsverhältnis jeweils im Einzelfall auflösen wird, ist mangels bisher einschlägiger Entscheidungen zur GrCh – genauso offen wie eine etwaige Gegenreaktion des Bundesverfassungsgerichts.
Dem Praktiker bleibt daher einstweilen nur eins:
Jede Einzelentscheidung über eine Beendigung so zu dokumentieren, dass sich damit im Zweifel gerichtsfest der Gegenbeweis führen lässt, dass das rein statische Ergebnis eines erhöhten Abbaus weiblicher Mitarbeiter keinem allgemeinen Diskriminierungsansatz geschuldet ist, sondern dass dem jeweils eine geschlechtsunabhängige, individuelle Entscheidung zugrunde lag. Bei mehreren 1.000 Fällen und enger Zeitvorgaben kann dies schnell einmal aus dem Blick geraten.