Ein Beitrag von Dr. Ulrich Sittard und Dr. Benjamin Pant.  Die Autoren sind Rechtsanwälte in der arbeitsrechtlichen Praxisgruppe der internationalen Sozietät Freshfields in Düsseldorf.
Seit dem 15.10.2024 gelten die neuen Fachlichen Weisungen (FW) der Bundesagentur für Arbeit (BA) zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Während in anderen Ländern in der Möglichkeit, Arbeitskräfte im Sinne eines globalen Arbeitsmarktes virtuell ausschließlich im Ausland zu beschäftigten, eine Errungenschaft der fortschreitenden Digitalisierung und zugleich ein Mittel gegen den Fachkräftemangel gesehen wird, zeugen die neuen Fachlichen Weisungen eher vom Gegenteil und von einer bemerkenswerten Missachtung des Territorialitätsprinzips: Die BA will die gewerberechtlichen Fesseln des AÜG nun verstärkt auch auf ausschließlich im Ausland eingesetzte Beschäftigte erstreckt wissen. Vereinfacht gesagt: Ist der gewerberechtliche Regulierungsansatz des AÜG wirklich angemessen, wenn ein ausschließlich in den USA tätiger und dort angestellter IT-Spezialist für ein deutsches Unternehmen remote tätig wird, virtuelle Teams-Meetings mit den in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern hält, Aufgaben von einer in Deutschland ansässigen Führungskraft umsetzt und im Rahmen seiner Tätigkeit Zugriff auf die IT-Systeme seines deutschen Kunden hat? Ist der IT-Spezialist aus den USA in Wahrheit – vermutlich ohne es selbst zu ahnen – ein Leiharbeitnehmer im Sinne des AÜG, wenn er an einem sonnigen Nachmittag in Kalifornien mit seinem Laptop auf dem Schoß den Wellen des Pazifiks lauscht? Sollte das im Silicon Valley ansässige Unternehmen hier besser zuvor um Erlaubnis bitten, damit die deutschen Behörden prüfen können, was auf der anderen Seite des Globus im Falle einer virtuellen Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen vorgeht? Welche Antwort wird das US-Unternehmen – selbst bei gutem Willen – vor dem Hintergrund von § 3 AÜG wohl erhalten? Passt dieses Ergebnis, wenn der Leiharbeitnehmer sich ohnehin nicht in Deutschland aufhält? Die neuen Fachlichen Weisungen dehnen den Einsatzradius der deutschen Behörden jedenfalls aus:
Dabei ist der räumliche Geltungsbereich des AÜG nach dem sog. Territorialitätsprinzip zunächst grundsätzlich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. (BeckOK ArbR/Kock, 73. Ed. 1.9.2024, AÜG § 1 Rn. 17; Ulrici, AÜG, 2017, Einl. Rn. 32) Ein Auslandsbezug war dem AÜG allerdings schon in der Vergangenheit nicht fremd. Vom Anwendungsbereich des AÜG erfasst waren auch nach bisherigem Verständnis Überlassungen von Arbeitnehmern aus einem inländischen Betrieb in den inländischen Betrieb eines anderen Arbeitgebers, der Verleih von einem Betrieb in Deutschland in das Ausland sowie aus dem Ausland nach Deutschland und zuletzt auch die Überlassung von einem Verleiher mit Sitz im Ausland an einen Entleiher mit Sitz im Ausland, wenn der Leiharbeitnehmer in Deutschland tätig wird (BeckOK ArbR/Kock, 73. Ed. 1.9.2024, AÜG § 1 Rn. 17; Ulrici, AÜG, 2017, Einl. Rn. 32). Nicht hingegen erfasst war (bislang) nach der ganz herrschenden Auffassung – und wohl auch nach den bisherigen FW (Nr. 1.1.1 Abs. 2 Stand 1.8.2019) – der Verleih durch einen ausländischen Verleiher an einen inländischen Entleiher, wenn der Leiharbeitnehmer ausschließlich im Ausland eingesetzt wird. Darauf aufbauend ist insbesondere in jüngerer Zeit verstärkt als Mittel zur Gewinnung von im Ausland ansässigen Fachkräften das Modell der rein virtuellen Mitarbeit von Fachkräften aus dem Ausland auch in Deutschland in den Fokus gerückt. Insbesondere für IT-Fachkräfte war dieses Instrument nicht nur beliebt, sondern oft die einzige Möglichkeit dem Fakt gerecht zu werden, dass viele IT-Fachkräfte in Deutschland kein Interesse an einem Arbeitsverhältnis haben und das „virtuelle Modell“ oft der einzige Weg ist, sich die zwingend erforderliche Fachkompetenz einzukaufen. Auch rechtlich war dies unkritisch: War die Fachkraft ausschließlich aus dem Ausland tätig, war das AÜG nach herrschender Auffassung nicht anzuwenden (Blumauer/Niemeyer, NZA 2023, 263, 265 m.w.N.).
Die BA legt der Digitalisierung der deutschen Wirtschaft – wohl ganz im Sinne von „mehr Bürokratie wagen“ – nun aber neue Steine in den Weg: Ausweislich Nr. 1.1.1 Abs. 3 FW soll der Inlandsbezug eines ausschließlich im Ausland Beschäftigten zwar abzulehnen sein, wenn die Arbeitsleistung im Sinne einer ortsgebundenen Tätigkeit eine Anwesenheit des Arbeitnehmers an einem bestimmten Ort erfordert. Verlange die Arbeitsleistungen hingegen keine Anwesenheit im Betrieb oder an einem bestimmten Ort des Arbeitnehmers und werde dieser ausschließlich im Ausland im Home-Office tätig bzw. verbleibe er ausschließlich in Telearbeit (in der Regel in seiner Wohnung) im Ausland, soll dennoch eine Verleiherlaubnis des idR ausländischen Dienstleisters notwendig sein. Denn der Ort, an dem sich der Leiharbeitnehmer rein körperlich befinde, könne in einem solchen Fall für die Frage nach dem Inlandsbezug aus Sicht der BA nicht entscheidend sein. Vielmehr sei bei ortsunabhängigen Arbeitsleistungen regelmäßig der Inlandsbezug zu bejahen, wenn die Überlassung vom Inland aus erfolgt oder der Leiharbeitnehmer virtuell für einen inländischen Entleiher tätig wird. Diese letzte gänzlich überschießende Formulierung der FW ist freilich weitgehender als die vorherige Einschränkung, wonach bei einer ortsungebundenen Tätigkeit ausschließlich im Home-Office oder in Telearbeit gearbeitet werden muss. Naheliegend ist eher, dass die BA die Kontrollbefugnis über das AÜG primär auf Fälle erweitern will, bei denen der im Ausland tätige Beschäftigte auch nicht in eine „ausländische Betriebsstätte eingegliedert“ ist, sondern die Anstellung im Ausland nur formale Grundlage für die virtuelle Tätigkeit in Deutschland ist. Letzteres könnte bspw. in der Konstellation des sog. „Employer of Record“ relevant werden, wenn Dienstleister Fachkräfte einstellen und dabei die formale Arbeitgeberstellung einnehmen (vgl. nur Lembke, NZA 2024, 153, 155; Schewiola/Grünewald, ArbRB 2022, 272; Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, 6. Aufl. 2023, S. 273; Blumauer/Niemeyer, NZA 2023, 263).
Selbst ein solch einschränkendes Verständnis beschneidet das Erfordernis des Inlandbezugs indes übermäßig und ist u.E. wegen Verletzung des Territorialitätsprinzips verfehlt. Die BA stützt sich hier auf die eigenständige Beurteilung durch das öffentliche Gewerberecht – also letztlich auf die Notwendigkeit zur behördlichen Kontrolle reiner Auslandstätigkeiten. Zudem verursacht die BA nur weitere Rechtsunsicherheit im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung. Denn während sich die Frage, ob jemand tatsächlich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland tätig wird, leicht feststellen und entsprechend kontrollieren lässt, handelt es sich bei den Fragen nach einer „ortsunabhängigen Tätigkeit“ und einer „virtuellen Eingliederung“ im Inland regelmäßig um zukunftsoffene Wertungsgesichtspunkte. Es darf bezweifelt werden, ob und wie die BA außerhalb der Bundesrepublik ihre Kontrolle und Aufsicht sinnvoll durchführen will und wie sie datenschutzkonform eine digitale Eingliederung nachweisen will. Ohne Einsicht in die digitalen Strukturen der jeweiligen Unternehmen und die Zusammenarbeit mit ihren externen Dienstleistern wird dies kaum möglich sein. Ebenso unklar ist, wie die deutschen Behörden bestimmen wollen, ob ein Beschäftigter im Ausland z.B. ausschließlich im Home-Office oder in Telearbeit in seiner Wohnung tätig ist, sollte diese durchaus ausschweifende Begrifflichkeit als einschränkende Voraussetzung zu verstehen sein.
Ihrer Natur nach stellen Fachliche Weisungen zwar behördeninterne Vorschriften dar, die allein die BA in ihrem Verwaltungshandeln binden und im Übrigen keine rechtliche Außenwirkung entfalten. In der Praxis geht ihre Bedeutung jedoch weit darüber hinaus. Die Fachlichen Weisungen werden regelmäßig auch von Gerichten als Auslegungshilfen herangezogen. Folglich wäre es geboten gewesen, wenn diese weitreichende Weichenstellung zur Reichweite des AÜG bei virtueller Auslandstätigkeit nicht von der BA, sondern vom Gesetzgeber getroffen würde. Sollten sich die Fachlichen Weisungen dennoch durchsetzen, würde der deutsche Entleiher in einer solche Konstellation den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit (§ 16 Abs. 1 Nr. 1a AÜG) erfüllen, wenn der ausländische Verleiher über keine deutsche Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis verfügt. Der deutsche „Entleiher“ würde also möglicherweise sanktioniert, wenn ein Arbeitnehmer eines in den USA ansässigen Unternehmens, welches seine Arbeitnehmer in den USA anstellt und beschäftigt, virtuell eng mit einem deutschen Unternehmen zusammenarbeitet. Dem ausländischen Unternehmen wird die Verschärfung der Fachlichen Weisungen vermutlich ebenso gleichgültig sein wie der Ordnungswidrigkeitentatbestand aus § 16 Abs. 1 Nr. 1 AÜG oder die weiteren Vorgaben des deutschen AÜG. Dem deutschen Kunden hingegen nicht, sollte überhaupt die effektive behördliche Kontrolle dieser Fallgruppe gelingen. Wichtig zu betonen ist allerdings, dass aus dem (gewerberechtlichen) Erfordernis der Überlassungserlaubnis nicht allein die in der Praxis oft als schwerwiegendere Folge empfundene Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags mit dem Verleiher und der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses beim Entleiher (§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG) resultiert. Denn das BAG hat – man ist fast geneigt, zu sagen, „zum Glück“ – bereits 2022 entschieden, dass § 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG keine Eingriffsnorm (Art. 9 Rom I-VO) darstellt und daher ebenso wenig wie die in § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG vorgesehene Fiktionswirkung unabhängig vom Arbeitsvertragsstatut zur Anwendung kommen kann (BAG, Urt. v. 26.4.2022 – 9 AZR 228/21, AP AÜG § 1 Nr. 42 m. Anm. Hamann/Rathmann = ArbRB 2022, 292 [Schewiola]; das Urteil erging noch zur alten Fassung des AÜG vor dem 1.4.2017, lässt sich indes auf die aktuelle Fassung übertragen, Ulrici, EuZA 2024, 121, 138). Ohne eine wirksame Rechtswahl wird das Arbeitsverhältnis des ausschließlich im Ausland Beschäftigten nämlich häufig nicht dem deutschen Recht unterfallen (Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO), so dass in dieser Fallgruppe §§ 9, 10 AÜG regelmäßig unanwendbar bleiben.
Es zeigt sich aber einmal mehr, dass es nach wie vor auf Seiten der Politik und der Behördenpraxis an einem Willen zum Bürokratieabbau fehlt. Wer aus der Beratungspraxis die Nöte deutscher Unternehmen kennt, insbesondere IT-Fachkräfte zu gewinnen, schaut nur mit resigniertem Kopfschütteln auf diese erneute Fehlleistung der BA.
Künftig werden auch „reine“ Auslandssachverhalte anhand der neuen Fachlichen Weisungen zu prüfen und das Risiko entsprechend zu bewerten sein. Es verbleibt bei der Praxis, sachgerechte Lösungen zu finden. Dies gilt insbesondere für das Modell der rein virtuellen Mitarbeit von ausländischen Fachkräften und nochmal verstärkt, wenn dies über „Employer of Record“-Modelle erfolgt. Entsprechend praxistaugliche Lösungen lassen sich auch auf Grundlage der neuen Fachlichen Weisungen finden. Die Autoren jedenfalls sind gleichwohl der Auffassung, der gewerberechtliche Regulierungsansatz des AÜG ist für Fallgestaltungen, bei denen der Beschäftigte allein im Ausland tätig wird, nicht geeignet und die Fachlichen Weisungen entsprechend überschießend. Dabei ist die Frage nach virtueller Eingliederung keineswegs auf das AÜG beschränkt. Auch im Rahmen des persönlichen Anwendungsbereichs des BetrVG ist es nur eine Frage der Zeit, bis das BAG sich weitergehend mit einer rein virtuellen Einbindung eines im Ausland tätigen Arbeitnehmers in einen inländischen Betrieb wird beschäftigen müssen (zur sog. Ausstrahlungsrechtsprechung bereits BAG, Urt. v. 24.5.2018 – 2 AZR 54/18, NZA 2018, 1396 = ArbRB 2018, 336 [Mues]).
Auch hier stellt sich die Frage: Wie viel deutsches Arbeitsrecht braucht das Ausland wirklich?
RA FAArbR Dr. Ulrich Sittard ist Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV. Die Arbeitsgemeinschaft, ein Kooperationspartner des Arbeits-Rechtsberaters, lädt regelmäßig zu Fortbildungsveranstaltungen mit interdisziplinärem Austausch ein. Die Frühjahrstagung 2025 findet am 28. und 29. März 2025 in Freiburg statt.