Die Gründe des Beschlusses des BAG vom 10.07.2013 – 7 ABR 91/11 –, mit dem das BAG entschieden hat, das § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG die nicht mehr „vorübergehende“ Arbeitnehmerüberlassung verbietet, liegen vor.
In diesem Rechtsstreit hatte der Betriebsrat eines Unternehmens die Zustimmung zur Einstellung eines Leiharbeitnehmers im Entleiherbetrieb mit dem Argument verweigert, der Leiharbeitnehmer würde „mehr als vorübergehend“, d.h. wohl auf Dauer beschäftigt. Das BAG stellt im schon nach der Pressemitteilung viel beachteten Beschluss heraus, dass der Betriebsrat seine Zustimmung zur nicht mehr vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung verweigern kann, weil diese gegen ein Gesetz iSv. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG verstoße, also dann, wenn sie nicht mehr vorübergehend sei – was auch immer das im konkreten Zeitumstand bedeute.
Für die Bewertung kam es darauf an, ob die Maßnahme, also die Einstellung als solche durch eine Verbotsnorm untersagt war. Dazu musste man die Wirkungskraft und den beabsichtigten Zweck der Norm des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG untersuchen, um zu beantworten, dass der Zweck der Verbotsnorm nur dadurch erreicht werden kann, wenn die Einstellung (=Eingliederung und Beschäftigung) insgesamt unterbleibt (Rz. 25).
Der Diskussionstand zur Auslegung der zum 01.12.2001 in Kraft getretenen Neuregelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG ist bekannt. Es geht darum, ob lediglich der Anwendungsbereich des AÜG definiert wird oder es sich um eine Beschreibung oder einen unverbindlichen Programmsatz handelt. Gegenüber steht eine weit verbreitete Auffassung, wonach es sich um eine verbindliche Rechtsnorm handelt. Das BAG hat den Wortlaut (Rz. 33 der Entscheidungsgründe) bewertet und diesen als nicht klar in die eine oder andere Richtung deutend ausgelegt. Dagegen spreche die Gesetzessystematik für den normativen verbindlichen Charakter (Rz. 34) und der aus den Gesetzesmaterialien erkennbare Wille des Gesetzgebers, mit dem das Recht der EU „vollständig, eins zu eins“ umgesetzt werden solle (so die Ausführung der zuständigen Bundesministerin in der abschließenden Plenarberatung des Deutschen Bundestages, BT-Plenarprotokoll 17. Wahlperiode S. 11366 [b]). Auch habe der Staatssekretär in einer Antwort auf eine Anfrage erklärt, dass eine normative Regelung der Norm notwendig sei und das Modell der Arbeitnehmerüberlassung hinsichtlich der Überlassung an den jeweiligen Entleiher ein „vorübergehendes“ sei (zu den Gesetzgebungsvorstellungen auch BT-Drucksache 17/4804 S. 8). Dazu wird vom Senat auch darauf abgestellt, der Bundestag habe das Gesetz bereits am 29.04.2011 verabschiedet und verkündet und dann erst am 1. Dezember 2011 in Kraft treten lassen. Da die Verleiher und Entleiher somit „ausreichend Zeit (gehabt hätten), ihre vertraglichen Vereinbarungen und sonstigen Regelungen bei Bedarf an die neue Rechtslage“ anzupassen, habe es sich nicht nur um eine deklaratorische und beschreibende Regelung gehandelt, sondern es sei eine normative Regelung mit Auswirkungen für die Praxis gewollt gewesen (Rz. 37 der Gründe).
Warum ich Sie hiermit beschäftige, hat aber einen in Rz. 35 des Beschlusses liegenden Grund: Das BAG führt aus, für den normativen, verbindlichen Charakter der Neuregelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG spreche der Charakter und der Sinn und Zweck der Regelung. Es formuliert dann den den Ausgangspunkt dieses Blogs bildenden Satz:
„Im Regelfall ist davon auszugehen, dass sich gesetzliche Regelungen nicht in folgelosen Beschreibungen erschöpfen.“
Ob das eine Fiktion – unwiderleglich? – ist, weil wir sehr oft Gesetze mit deklaratorischem oder unsinnigem Inhalt wahrzunehmen haben, ist mir persönlich nicht ganz klar, ich bin ja auch nur Praktiker und kein Methodiker. Jedenfalls hat der Senat weiter ausgeführt:
„Wenn aber davon auszugehen ist, dass mit dieser Bestimmung, wie auch sonst bei Gesetzen, die über bloße Definitionen oder Fiktionen hinausgehen, überhaupt etwas geregelt werden soll, so besteht der Regelungsinhalt darin, dass die nicht mehr nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung unterbunden werden soll.“
Sicherlich ist es ein Lob des 7. Senats an den Gesetzgeber der vergangenen Legislaturperiode, dass ihm Hand und Fuß sowie Gestaltungswillen und entsprechende Gestaltungskraft attestiert wird. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das Lob nicht nur „gesetzesauslegungstaktischer“ Natur ist.Â