Der sog. Work Ability Index (WAI) wird aufgrund eines Fragebogens ermittelt und dient der Einschätzung der Arbeitsfähigkeit. Er wurde im Rahmen eines finnischen Forschungsprojektes entwickelt und wird inzwischen in zahlreichen Ländern im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz mit dem Ziel der Erhaltung, Wiederherstellung und Förderung der Arbeitsfähigkeit eingesetzt (näheres unter http://www.baua.de/de/Startseite.html, die Publikation zum WAI finden Sie hier).
Für die Einleitung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements stellt § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX auf die Arbeitsunfähigkeit von Beschäftigten innerhalb eines Jahres ab. Nach Ansicht des BAG hat der Gesetzgeber mit der Verwendung des Begriffs „arbeitsunfähig“ auf die zu § 3 Abs. 1 EFZG ergangene Begriffsbestimmung Bezug genommen und keinen vom Entgeltfortzahlungsgesetz abweichenden eigenen Begriff mit anderen Merkmalen schaffen wollen. Für die Bemessung des Sechswochenzeitraums des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX seien deshalb die dem Arbeitgeber vom Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1 EFZG angezeigten Arbeitsunfähigkeitszeiten maßgeblich. Dies gewährleiste eine praktikable und sichere Anwendung dieser Vorschrift (BAG 13.3.2012 – 1 ABR 78/10).
So sehr diese Entscheidung zwar aus Arbeitgebersicht zu begrüßen sein mag, so sehr muss sie bei genauer Betrachtung Bedenken aufwerfen. Der antragstellende Betriebsrat hatte nämlich in der Einigungsstelle vorgeschlagen, ein Verfahren zur Analyse der Arbeitsfähigkeit durch ein „Arbeitsfähigkeits-Coaching“ zu regeln. Danach sollten alle Arbeitnehmer zweimal jährlich einen „Check-up“ von ca. 60 Minuten Dauer durchlaufen und nach dem WAI klassifiziert werden. Bei einem WAI-Wert von 7 bis 27 Punkten wäre die Arbeitsfähigkeit mit „schlecht“, von 28 bis 36 Punkten mit „mittelmäßig“, von 37 bis 43 Punkten mit „gut“ und von 44 bis 49 Punkten mit „sehr gut“ einzustufen gewesen. Nach dem Vorschlag des Betriebsrats sollten alle Beschäftigten mit einem WAI-Wert zwischen 7 und 36 einen Anspruch auf ein bEM haben.
Das BAG hat ein Recht der Betriebspartner zur Ausgestaltung des Begriffs der Arbeitsunfähigkeit abgelehnt. Darum geht es meines Erachtens gar nicht. Der Gesetzgeber hat mit dem bEM ein Verfahren schaffen wollen, das durch geeignete Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft sichert, weil viele Abgänge in die Arbeitslosigkeit aus Krankheitsgründen erfolgen und arbeitsplatzsichernde Hilfen der Integrationsämter vor der Beantragung einer Zustimmung zur Kündigung kaum in Anspruch genommen werden (BT-Drucks. 15/1783 S. 16). Richtig ist, dass Voraussetzung für die Verpflichtung des Arbeitgebers zum bEM eine bestimmte Anzahl von Arbeitsunfähigkeitszeiten ist. Nach den Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses liegt Arbeitsunfähigkeit jedoch bereits dann vor, wenn der Versicherte aufgrund von Krankheit seine zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann, also auch dann, wenn aufgrund eines bestimmten Krankheitszustandes, der für sich allein noch keine Arbeitsunfähigkeit bedingt, absehbar ist, dass aus der Ausübung der Tätigkeit für die Gesundheit oder die Gesundung abträgliche Folgen erwachsen, die Arbeitsunfähigkeit unmittelbar hervorrufen. Der WAI dient also u.U doch dazu, Arbeitsunfähigkeit, die (noch) nicht zum Arbeitsausfall geführt hat, festzustellen und nicht den Rechtsbegriff auszugestalten. Denkbar wäre es auch, dass der Betriebsrat auf der Grundlage seines Mitbestimmungsrechts in Fragen des Gesundheitsschutzes nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG lediglich eine Rechtsfolgeverweisung auf § 84 Abs. 2 SGB IX geregelt haben wollte.
Der Betriebsrat wird mit dem Ergebnis leben können: Auch wenn der Begriff der Arbeitsunfähigkeit in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX keinen Rahmen für Ausgestaltungen belässt, steht ihm dennoch außerhalb dieser Vorschrift nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht im Bereich des Gesundheitsschutzes zu. Was aber ist mit den Beschäftigten in betriebsratslosen Betrieben?
RA FA ArbR Axel Groeger, Redeker Sellner Dahs, Bonn