Das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung soll einer Bewerberin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zahlen, weil es sie wegen ihrer fehlenden konfessionellen Bindung bei der Besetzung einer Stelle nicht berücksichtigt hat (ArbG Berlin vom 18.12.2013 – 54 Ca 6322/13, zum Sachverhalt siehe links unter News).
Nach Ansicht des ArbG Berlin dürfe eine Einstellung nur dann von einer Kirchenmitgliedschaft abhängig gemacht werden, wenn es sich um eine „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung“ handelt. Das Gericht geht damit noch über eine in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung verbreitete Tendenz hinaus, wonach diese Frage anhand der konkreten Stelle oder Ausschreibung zu beantworten ist. Das Werk könne sich, so die Pressemitteilung, nicht auf § 9 AGG berufen. Nach dieser Vorschrift genügt es zwar bei einer Beschäftigung durch eine Religionsgemeinschaft oder eine ihr zugeordnete Einrichtung, dass eine bestimmte Religion unter Beachtung des Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaft im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine „gerechtfertigte berufliche Anforderung“ darstellt. Wer aber bestimmt über das Selbstverständnis und wie weit ist es im staatlichen Bereich verbindlich? Und was verlangt dessen Beachtung? Die ersten beiden Fragen betreffen Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung, der auch heute noch über Art. 140 GG gilt und zu dem es klare Rechtsprechung des BVerfG gibt. Die dritte Frage betrifft § 9 Abs. 1 AGG, der im Lichte der Art. 140 GG, 137 Abs. 3 WRV aber auch des Art. 17 Abs. 1 AEUV auszulegen ist. Danach achtet die Europäische Union den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht. Nach Art. 17 Abs. 3 AEUV pflegt sie mit ihnen in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog.
Zum verbalen Schlagabtausch, der u.a. im Blog der taz stattfindet (http://www.taz.de/Arbeitsgericht-verurteilt-EKD/!130489/) und wo vom „Staat im Staate“ sowie der „Willkür der Kirchen gegenüber ihren Mitarbeitern“ die Rede ist, passen markige Vergleiche im Zusammenhang mit der Anmeldung der Insolvenz durch den Weltbild Verlag (http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2014-01/weltbild-verlag-insolvenz-katholische-kirche). Für Arbeitsrechtler: Der Verlag soll einen Betriebsrat haben (also nicht unter § 118 Abs. 2 BetrVG fallen) und der Betriebsrat wollte Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat entsenden (dann dürfte er auch nicht unter § 1 Abs. 4 S. 2 MitbestG fallen) und ver.di wollte oder hat über einen Tarifvertrag verhandeln wollen (auf dem Dritten Weg wäre das nicht vorgesehen, BAG vom 20.11.2012 – 1 AZR 179/11). Für aufgeklärte Menschen: Vielleicht ist der Verlag noch weltlicher als man liest und man lässt besser die Kirche im Dorf und liest zur sozialen Verantwortung auch die Erklärung des Aufsichtsratsvorsitzenden (http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2014/Pressemitteilung_Weltbild_10012014.pdf).
Wie provozierend wohltuend oder auf angenehme Weise provozierend doch der Satz zum Thema Toleranz sein kann, den letzte Woche der Sozialdemokrat und Katholik Wolfgang Thierse in der „Zeit“ vom 2.1.2014 von Alexis de Tocqueville zitiert hat: „Despotismus kommt ohne Religion aus, Freiheit nicht.“
RA FAArbR Axel Groeger
www.redeker.de
Ein Kommentar
Es wird Zeit, dass die Gerichte sich dieser drängenden auch gesellchaftspolitischen Frage annehmen. Die Kirchen werden massiv stattlich unterstützt, beanspruchen jedoch immer noch, ihr eigenes Süpplein zu kochen und berufen sich rechtsmissbräuchlich auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen.
Es schreit nach einer EuGH-Entscheidung