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ArbRB-Blog

Die perforierte Freizeit

avatar  Wienhold Schulte
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Arbeitszeit und Freizeit schließen einander aus. So sehen das jedenfalls die arbeitsrechtlichen Schutznormen vor, insbesondere das Arbeitszeitgesetz. Die Arbeitswirklichkeit nimmt inzwischen in vielen Bereichen diesen Unterschied – bewusst oder unbewusst – nicht mehr wahr. Ständige Erreichbarkeit durch Handy, Smartphone, Laptop oder sonstige Kommunikationswege wird von Arbeitgebern als selbstverständlich vorausgesetzt – und von Arbeitnehmerseite akzeptiert. Jetzt hat auch die Politik sich des Themas angenommen. In ihrer bekannt „minimal-invasiven“ Art will die zuständige Ministerin  Regeln für die Erreichbarkeit über Handy & Co aufstellen lassen, aber nicht per Gesetz, sondern durch – freiwillige –  Regelungen der Arbeitgeberseite (vgl.ausführlich http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/arbeitsschutz-arbeitsministerin-will-regeln-gegen-handy-stress-11782676.html, mit weiterführenden Artikeln).

Zu diesem, inzwischen die weit überwiegende Zahl der Beschäftigten (http://www.bitkom.org.) unmittelbar betreffenden, viele auch z.T.extrem belastenden Problem mehren sich die Stimmen, auch warnende – und nicht nur des DGB. Gesundheitliche Gefahren der „Allzeit-bereit-Haltung“ liegen auf der Hand. Allein die Dauer oder Intensität der Arbeit macht aber nicht krank. Wer wüsste das besser als wir freiberuflich tätigen Anwälte? Oder die Schriftsteller? Nicht zuletzt hängt die – gefühlte –  Belastung  vom Maß der Selbstbestimmung in Bezug auf den Zeitumfang gab. Niemand wird  gesundheitliche und deshalb zwingende rechtliche Grenzen infrage stellen.In der Praxis der Arbeitsrechtler gibt es  dazu noch so gut wie keine konkreten Streitfälle, also auch keine Rechtsprechung.

Dabei verlangen zahlreiche komplexe Fragen des individuellen als auch des kollektiven Arbeitsrechts nach Antworten. Diese haben sowohl den rechtlichen Vorgaben, insbesondere des Arbeitszeitrechts, als auch den praktischen Bedürfnissen der Arbeitsvertragsparteien Rechnung zu tragen. Arbeitsrechtlich verbindliche Regeln müssen vom Arbeitszeitbegriff ausgehen und ferner den Inhalt der Arbeitspflichten definieren. Nicht jede in der Freizeit abgefagte telefonische Kurzauskunft ist Arbeit, eine per Email abgefragte fundierte Antwort dagegen schon. Auf den Urlaub bleibt ohne Einfluss, wenn der Arbeitgeber seiner Mitarbeiterin per SMS eine banale Frage stellt, die in Sekundenschnelle beantwortet werden kann. Eine Ausarbeitung auf dem Laptop, per Email übermittelt, unterbricht den Urlaub (vgl. zu den Einzelheiten ausführlich: Barbara Reinhard, ArbRB Heft 6 2012,186 ff).

Das Thema wird uns und in der weiteren Folge auch die Rechtsprechung sicher noch intensiv beschäftigen. Wir müssen uns schon jetzt darauf vorbereiten, künftig vermehrt auftretende Konflikte zu lösen.

Ein Kommentar

  1. Veröffentlicht 17.6.2012 um 18:16 | Permalink

    Der Beitrag zeigt zu Recht das Spannungsfeld zwischen Arbeitszeit und Selbstbestimmung auf. Ich sehe hierin – ganz nach dem Vorbild Volkswagen (http://www.ftd.de/karriere-management/management/:burnout-syndrom-bei-vw-haben-blackberrys-feierabend/60146287.html) – den Betriebsrat als Gestalter gefordert. Denn die Frage der ständigen Erreichbarkeit dürfte eine extrem unternehmensspezifische Frage sein. Die Kernfrage, inwieweit das Selbstbestimmungsrecht der Beschäftigten auf Aufrechterhaltung des betrieblichen „Informationsflusses“ zum Selbstschutz zu begrenzen ist, dürfte am ehesten durch die Betriebsparteien zu beantworten sein. Anknüpfungspunkt dürfte daher neben dem Arbeitszeitrecht aus meiner Sicht vor allem das Mitbestimmungsrecht sein.

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