Der EuGH hat am 06.11.2018, Az. C-619/16, C-684/16 entschieden, dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordern muss, den Urlaub zu nehmen, und ihnen klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub, wenn er nicht genommen werden sollte, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird. Das BAG hat diese Rechtsprechung am 19.02.2019 (Az. 9 AZR 423/16) umgesetzt und die noch sehr allgemeinen Ausführungen des EuGH für die Praxis konkretisiert: Das BAG legt allen Arbeitgebern nahe, bei der Aufforderung die Anzahl der Urlaubstage einschließlich der aus Vorjahren übertragenen Resturlaubstage konkret anzugeben.
Was das bedeutet und wie ein Musterschreiben formuliert werden kann, werde ich Ihnen in drei Beiträgen, die auf dem Newsletter des Fachbereichs Arbeitsrecht bei Loschelder aufbauen, vorstellen. Zunächst zum Urteil des BAG:
Das BAG legt § 7 BUrlG richtlinienkonform aus. Danach treffe den Arbeitgeber die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG. Erst die Erfüllung der daraus abgeleiteten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitsgebers, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen, führe zur Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG. Der noch nicht erfüllte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlösche damit in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt habe, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen habe.
Das BAG gesteht dem Arbeitgeber zwar eine gewisse Freiheit bei der Auswahl der Mittel zu, derer er sich zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten bedient. Die Mittel müssten jedoch geeignet sein, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt.
Eine Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten sei etwa dadurch möglich, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres in Textform
- mitteilt, wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustehen,
- ihn auffordert, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann, und
- ihn über die Konsequenzen belehrt, die eintreten, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt.
Die wichtigsten Aussagen des BAG-Urteils lassen sich danach wie folgt zusammenfassen:
- Der Arbeitgeber kommt seinen Mitwirkungsobliegenheiten nur dann „konkret und in völliger Transparenz“ nach, wenn er jeden einzelnen Arbeitnehmer individualisiert auffordert, den ihm persönlich zustehenden Urlaub zu nehmen. Die Unterrichtung muss sich auf einen konkret bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Jahres beziehen. In unserem Sondernewsletter zum Urlaubsrecht vom 13.11.2018 hatten wir noch die Hoffnung, die Rechtsprechung werde eine einheitliche Rundmail an alle Mitarbeiter für ausreichend befinden. Diese Hoffnung wurde nun enttäuscht. Abstrakte Angaben, z.B. in einem allgemeinen Rundschreiben an alle Mitarbeiter reichen nach der maßgeblichen Rechtsprechung des BAG nicht aus. Das BAG legt Arbeitgebern stattdessen nahe, im Unterrichtungsschreiben konkret anzugeben, wie viele Arbeitstage Urlaub jeder Arbeitnehmer im laufenden Kalenderjahr noch zustehen. Arbeitgeber sollten ihre Hinweisschreiben also für jedes Jahr und jeden Arbeitnehmer individualisiert anpassen. Dies mag einigen Aufwand bereiten. Doch andernfalls kann nicht damit gerechnet werden, dass der Urlaub am Jahresende verfällt.
- Eine Aufforderung in Textform reicht aus. Sie kann also z.B. per E-Mail erfolgen. Die entsprechende E-Mail sollte in Outlook als „wichtig“ markiert und mit einer Lesebestätigung versehen werden. Geht keine Lesebestätigung ein, sollte eine ausdrückliche Zugangsbestätigung eingeholt werden. Arbeitnehmern, die nicht über eine betriebliche E-Mail-Adresse verfügen, ist das Schreiben auf anderem Wege zuzustellen, z.B. per Hauspost oder an die Privatadresse (per Einschreiben/Rückschein).
- Die Aufforderung gegenüber dem jeweiligen Arbeitnehmer ist „rechtzeitig“, wenn dieser in der Lage ist, den verbleibenden Urlaub im laufenden Urlaubsjahr tatsächlich noch zu nehmen. Das BAG schlägt eine Aufforderung gleich zu Beginn des Jahres vor. Davon kann abgewichen werden. Aus mehreren Gründen ist eine solche Vorgehensweise jedoch sinnvoll: Zum einen haben die Arbeitnehmer so hinreichend Zeit, ihren Urlaub, der möglicherweise durch eine erhebliche Zahl an Resturlaubstagen ergänzt wird, frühzeitig auf das Jahr zu verteilen. Dies hat den positiven Nebeneffekt, dass der Arbeitgeber oftmals schon zu Beginn des Jahres absehen kann, wann welche Arbeitnehmer abwesend sind, und sich so darauf einstellen und ggf. um Vertretungsregelungen etc. bemühen kann. Zum anderen erlischt auch ein auf das Folgejahr übertragener Resturlaubsanspruch nach den Ausführungen des BAG nur dann zum Ende des Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordert, den Urlaub noch innerhalb dieses Zeitraums (regelmäßig bis zum 31.03. eines Jahres) zu nehmen. Würde die „allgemeine“ Aufforderung erst später im Jahr erfolgen, müsste in vielen Fällen zu Beginn des Jahres eine weitere Aufforderung an diejenigen Arbeitnehmer erfolgen, die Urlaubsansprüche aus dem Vorjahr in das Folgejahr übertragen haben.
- Die Anforderungen an eine „klare“ Unterrichtung sind regelmäßig durch den Hinweis erfüllt, dass der Urlaub grundsätzlich am Ende des Kalenderjahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, seinen Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen, er ihn aber nicht beantragt.
- Abstrakte Angaben, etwa im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt oder in einer Betriebsvereinbarung erfüllen die Anforderungen an eine konkrete und transparente Unterrichtung nicht. Ein ständige Aktualisierung der Mitteilungen anlässlich jeder Änderung des Umfangs des Urlaubsanspruchs ist jedoch ebenfalls nicht erforderlich.
- Der Arbeitgeber darf Urlaubsanträge der Arbeitnehmer nicht aus anderen als den in § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG genannten Gründen ablehnen oder die Arbeitnehmer davon abhalten, ihren Urlaub zu beantragen. Andernfalls entfällt die Befristung des Urlaubsanspruchs gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG, es sei denn, der Arbeitgeber nimmt seine Mitwirkungshandlungen erneut vor. Genügt der Arbeitgeber den Anforderungen der Rechtsprechung nicht, tritt der am 31. Dezember eines Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht. Dies gilt auch für die Urlaubsansprüche vergangener Urlaubsjahre. Im konkreten Fall hatte ein im Jahr 2015 ausgeschiedener Arbeitnehmer nicht genommene Urlaubsansprüche aus den Jahren 2012 und 2013 geltend gemacht. Arbeitnehmer könnten also erhebliche Resturlaubsansprüche angehäuft haben, die nur dann verfallen, wenn ein entsprechender Hinweis und eine Aufforderung erfolgt, diese zu nehmen.
- Das zukünftige uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Urlaubsjahren lässt sich dadurch verhindern, so das BAG, dass die Mitwirkungsobliegen für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren im aktuellen Urlaubsjahr nachgeholt werden.
Haben Arbeitgeber die Vorgaben des EuGH und des BAG im letzten Jahr noch nicht umgesetzt , sodass Arbeitnehmer möglicherweise noch über Resturlaubsansprüche vergangener Urlaubsjahre verfügen, sollte dies in jedem Fall noch in diesem Jahr nachgeholt werden. Damit sollte nicht zu lange gewartet werden, damit die Arbeitnehmer auch tatsächlich in der Lage sind, die Urlaubsansprüche noch in diesem Jahr abzubauen.
Ab 2020 sollte die Information und Aufforderung gegenüber den Arbeitnehmern sodann gleich zu Beginn eines jeden Jahres vorgenommen werden. Im nächsten Blogbeitrag finden Sie den Entwurf eines Musterschreibens. Übrigens kann das Problem auch durch Arbeitsvertragsklauseln oder eine Betriebsvereinbarung erheblich eingegrenzt werden.