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ArbRB-Blog

Zu den aktuellen praktischen Herausforderungen bei „Videobeschlüssen“ des BR

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„Wollen Sie wirklich, dass wir unsere und die Gesundheit anderer bei einer Betriebsratssitzung gefährden, wenn wir nach Einschätzung des BMAS das Ganze auch mit einer Videokonferenz und anschließender Dokumentation in Textform hinbekommen können?“

Kaum eine arbeitsrechtliche Diskussion wird aktuell emotionaler geführt, als der Umgang mit der „Ministererklärung“ zu Betriebsratssitzungen per Videokonferenz (siehe dazu hier in diesem Blog bereits Grimm), einschließlich der daraus vermeintlich  – oder vermeintlich auch nicht – abzuleitenden formalen Erleichterungen für eine Beschlussfassung des Betriebsrats.  Die Aussage, dass bei weitreichenden wirtschaftlichen Folgen aktuell nur eine herkömmliche Beschlussfassung die eigentlich erforderliche „Rechtssicherheit“ bietet, ist sicher richtig. Sie dürfte ehrlicherweise auch nicht ernsthaft von einem Praktiker – des einen wie des anderen „Lagers“ – in Frage gestellt werden.

Diese (sicher berechtigten) rechtlichen Hinweise führen jedoch in einer emotional aufgeladenen Verhandlungssituation, in der alle Beteiligten gleichwohl kurzfristig zu Lösungen kommen müssen,  in der Regel nicht weiter. Denn es gibt natürlich weder irgendeinen unternehmensseitigen „rechtlichen“ Anspruch auf einen Betriebsratsbeschluss noch lassen sich „Rechtssicherheit“ und ein mögliches „Gesundheitsrisiko“ „moralisch“ miteinander vernünftig abwägen.

Solange es für die aktuelle – wohl unbestrittene – Sondersituation noch keine gesetzliche Lösung gibt, können gleichwohl alle Beteiligten daran mitwirken, ihren Beitrag zu zumindest etwas  mehr „Rechtssicherheit“ zu leisten:

  • Dazu zählt zum einen die jeweils konkrete Dokumentation, dass eine herkömmliche Beschlussfassung aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorgaben aktuell ausgeschlossen ist. Hier mag es von Fall zu Fall – je nach Zeitpunkt, Ort und den jeweils Beteiligten – in der Tat Unterschiede geben. Gegebenenfalls mag eine solche Dokumentation – auch angesichts ggf. weiter bestehender Arbeitspflichten –  dazu führen, die ursprüngliche Einschätzung noch einmal neu zu bewerten.
  • Zum anderen sollte zudem der Wille dokumentiert werden, die formal so gegebenenfalls angreifbare Beschlussfassung – rein vorsorglich – nochmals schnellstmöglich inhaltsgleich zu wiederholen, sobald die vorerwähnten öffentlich-rechtlichen Vorgaben dem nicht mehr entgegenstehen. Auch ohne eine rechtliche Verpflichtung dürfte im Rahmen eine solchen „Selbstbindung“ dies dann in vielen Betrieben, in denen vertrauensvolle Zusammenarbeit über Jahre gelebte Praxis ist, angesichts der Krise so umgesetzt werden.  Emotional aufgeladene Situationen wie die eingangs geschilderten lassen sich so für beide Parteien zumindest inhaltlich ein wenig entschärfen.

Angesichts der bisherigen Rechtsprechung zu einer möglicherweise auch rückwirkenden Heilung von Beschlussmängeln ist zwar auch dieser Ansatz sicher alles andere als ein „Selbstgänger“ in puncto „Rechtssicherheit“. Betrachtet man jedoch die eine oder andere Entscheidung im Nachgang zur letzten globalen Krise, waren die arbeitsrechtlichen Obergerichte auch dort durchaus in der Lage, Sondersituationen als solche zu erkennen und im Einzelfall einer jeweils angemessenen Lösung zuzuführen.

Ob letztlich nicht doch eine befristete gesetzliche Regelung – analog der in der letzten Woche bereits beschlossenen Regelungen für eine virtuelle Hauptversammlung für die AG – am Ende zielführender wäre, mag dahinstehen.

Solange es diese – aus welchen Gründen auch immer – nicht gibt, sollte zumindest der Versuch gemacht werden, sich einstweilen so gut wie möglich anderweitig zu behelfen.  Denn „Nichthandeln“ oder gar keine Betriebsratsbeschlüsse zu dringend benötigten Vereinbarungen, über die inhaltlich Einigkeit besteht, sind aktuell sicher die schlechteste Option.

Update 8.4. 2020

In das Thema kommt mittlerweile auch von Seiten des Gesetzgebers Bewegung, mehr dazu hier.

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