Kaum ein arbeitsrechtlicher Bereich wurde in den letzten Jahren so stark durch die europäische Rechtsprechung geprägt wie das Urlaubsrecht. Exemplarisch zeigt dies die Frage nach dem Verfall und der Verjährung des Jahresurlaubs sowie der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers. Das herannahende Jahresende gibt Anlass, sich einige der aktuellsten Themen nochmals zu vergegenwärtigen.
- Gesetzliche Grundlagen
Das BUrlG bestimmt, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr genommen und gewährt werden muss. Eine Übertragung in das nächste Kalenderjahr ist nur möglich, wenn eine Inanspruchnahme des Urlaubs im Urlaubsjahr aufgrund dringender betrieblicher (z.B. erhebliche Auslastung) oder in der Person des Arbeitnehmers liegender Gründe (z.B. dauerhafte Erkrankung) nicht zu gewährleisten ist (§ 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG). Nur im Falle dieser ausnahmsweise zulässigen Übertragung verfällt der Urlaub erst am 31. März des Folgejahres (Übertragungszeitraum).
- Erste Ausnahme: Der langzeiterkrankte Arbeitnehmer
Ist der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, kann er seinen Urlaub nicht in Anspruch nehmen. Im Nachgang zur Entscheidung des EuGH vom 22. November 2011 (C-214/10) legte das BAG die Regelung des § 7 Abs. 3 BUrlG dahingehend aus, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch zwar grundsätzlich nicht erlischt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums den Urlaub aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen konnte. Dieser Urlaubsanspruch tritt vielmehr zu dem Anspruch des Folgejahres hinzu und ist erneut nach § 7 Abs. 3 BUrlG befristet. Etwas anderes gilt aber bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit: Dann erlischt der Anspruch 15 Monate nach dem Ende des jeweiligen Urlaubsjahres (BAG, Urteil vom 7. August 2012 – 9 AZR 353/10, ArbRB 2013, 4 [Sasse]). Nach der Genesung gelten insoweit die allgemeinen Regeln: Der Urlaub muss in dem Jahr gewährt und genommen werden, in dem das Urlaubshindernis wegfällt, ansonsten erlischt er mit dem Ende dieses Jahres bzw. des Übertragungszeitraums.
- Zweite Ausnahme: Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers
Im Nachgang zum Urteil des EuGH vom 6. November 2018 (C-684/16) entschied das BAG am 19. Februar 2019 (9 AZR 423/16) sodann, dass den Arbeitgeber eine Mitwirkungsobliegenheit bezüglich der Urlaubsansprüche trifft. Der Urlaubsanspruch erlischt danach nur dann am Ende des Kalenderjahres bzw. des Ãœbertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Der Arbeitgeber muss erforderlichenfalls förmlich unter Nennung des konkreten Urlaubsanspruchs dazu auffordern, den Urlaub zu nehmen und klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub ansonsten nach Maßgabe des § 7 Abs. 3 BUrlG verfällt. Für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren kann der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten im aktuellen Urlaubsjahr nachholen.Â
- Mitwirkungsobliegenheit auch beim langzeiterkrankten Arbeitnehmer?
In der Folge wurde wiederholt die Frage diskutiert, ob diese Mitwirkungsobliegenheit auch dann greift, wenn der Arbeitnehmer langzeiterkrankt ist. Richtigerweise ist zu differenzieren:
- Der während der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers entstandene und nicht genommene Urlaub erlischt bei einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach dem Ende des jeweiligen Urlaubsjahres. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber seine – auch in diesen Fällen bestehende – Mitwirkungsobliegenheit nicht erfüllt hat (vgl. BAG, Beschluss vom 7.7.2020 – 9 AZR 401/19, Rdn. 23). Für diesen Urlaubsanspruch, der während der Dauererkrankung neu entsteht, hatte der EuGH bereits einen Verfall ohne Mitwirkungsobliegenheit gebilligt (vgl. EuGH, Urteil vom 22.11.2011 – C-214/10). Eine freie Entscheidung über die Verwirklichung des Urlaubs ist – ohne dass es auf die Aufforderungen des Arbeitgebers ankäme – von vornherein aufgrund der Krankheit ausgeschlossen.
Bsp: Der Arbeitnehmer ist vom 1.1.2017 bis zum 31.12.2019 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Der Urlaub aus dem Jahr 2017 verfällt auch bei Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit am 31.3.2019
- Tritt die fortdauernde Arbeitsunfähigkeit im laufenden Kalenderjahr ein, ist der Umgang mit solchen Urlaubsansprüchen umstritten, die bis zu diesem Zeitpunkt entstanden sind und damit zumindest teilweise hätten genommen werden können. Falls in diesen Fällen die Mitwirkungsobliegenheit uneingeschränkt gilt, träte ein Verfall des Urlaubs auch 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres insoweit nicht ein, als der Arbeitnehmer seinen Jahresurlaub bei rechtzeitiger Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit vor Beginn seiner Erkrankung noch hätte in Anspruch nehmen können.
Bsp: Der Arbeitnehmer erkrankt im Verlauf des Jahres 2017 bis zum 31.12.2019 und konnte daher 14 Urlaubstage des Jahres 2017 nicht nehmen. Wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheit im Jahr 2017 nicht erfüllt hat, ist ungeklärt, ob die 14 Urlaubstage aus 2017 dennoch am 31.3.2019 verfallen.
Insbesondere nach der Geltung der Mitwirkungsobliegenheit in diesen Fällen befragt der 9. Senat des BAG nun den EuGH (BAG, Beschluss vom 7.7.2020 – 9 AZR 401/19, Rdn. 23).
- Rettungsanker Verjährung?
Bei einer Versäumung der Mitwirkungsobliegenheiten in der Vergangenheit kann die Verjährung von Urlaubsansprüchen nach Ablauf der dreijährigen Regelverjährungsfrist nach § 195 BGB ein Rettungsanker sein. Mit Vorlagebeschluss vom 29. September 2020 (9 AZR 266/20) fragt das BAG nun den EuGH, ob der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub der Verjährung gemäß § 194 Abs. 1, § 195 BGB unterliegt. Dabei scheint sich der Senat nicht der Auffassung der Vorinstanz (LAG München, vom 3.9.2019 – 9 Sa 177/19) anzuschließen, wonach ein durchsetzbarer und fälliger Urlaubsanspruch erst entsteht, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt hat.
- Folgen für die Praxis
Die Rechtslage bleibt bis zu einer Entscheidung aus Luxemburger unklar. Festhalten lassen sich indes folgende Aspekte:
- Auch bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern besteht eine Mitwirkungsobliegenheit. Sie bezieht sich darauf, den Arbeitnehmer rechtzeitig aufzufordern, den Urlaub bei Genesung vor Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums zur Vermeidung des Verfalls so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums gewährt und genommen werden kann (BAG, Beschluss vom 7.7.2020 – 9 AZR 401/19, Rdn. 21)
- Auch bei der Verletzung dieser Mitwirkungsobliegenheit verfallen bei fortgesetzter Arbeitsunfähigkeit die während der Dauererkrankung entstandenen Urlaubsansprüche 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres (BAG, edb. Rdn. 23).
- Bei unterjährig eintretender Arbeitsunfähigkeit und Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit ist das Schicksal solcher Urlaubsansprüche umstritten, die bis zu dem Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit entstanden sind und damit zumindest teilweise hätten genommen werden können.
- Ebenfalls ungeklärt bleibt die Verjährung der Urlaubsansprüche.
Für die Praxis folgt daraus, dass der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit möglichst zu Beginn des Jahres nachkommen sollte (ausdrücklich BAG, ebd. Rdn. 37). Langzeiterkrankte Arbeitnehmer sollten darüber hinaus in jedem Fall spätestens bei Wiedererlangung ihrer Arbeitsfähigkeit auf den Bestand und möglichen Verfall der Urlaubsansprüche hingewiesen werden.
RA FAArbR Thomas Niklas und RA Thomas Köllmann, Küttner ARBEITSRECHT, Köln